Was wir von Pinguinen über Resilienz, das Glück und gute (Selbst-)Führung lernen können
Eine handlungsleitende Reflexion über die Pinguingeschichte von Dr. Eckart von Hirschhausen, erweitert um Führungsperspektiven aus der Praxis
Manchmal reicht ein einziger Moment, um unsere Sicht auf das Leben zu verändern. Ein solcher Moment steht im Zentrum von Dr. Eckart von Hirschhausens bekanntem Buch „Glück kommt selten allein“, in der Schilderung eines Erlebnisses bei einem Zoo-Besuch.
Die Pinguin-Geschichte – von der Fehlkonstruktion zur Meisterleistung
Eckart von Hirschhausen berichtet von seiner Zeit als Moderator auf einem Kreuzfahrtschiff. Was zunächst nach einem Traumjob klang, entpuppte sich schnell als Albtraum: Ein Publikum, das nicht zu ihm passte und Seekrankheit machten die Erfahrung zur Qual. Doch auf einer Zwischenstation in Norwegen kam es zu einer schicksalhaften Begegnung mit einem Pinguin.
Zunächst schien der Pinguin für Hirschhausen eine Fehlkonstruktion zu sein: zu kleiner Körper, keine Knie, unfähig zu fliegen. Doch als der Pinguin ins Wasser sprang, zeigte sich dessen wahre Natur. Im Wasser war er in seinem Element – effizient, elegant, schneller und ausdauernder, als es jede menschliche Konstruktion je sein könnte. Der Pinguin machte vor, was Hirschhausen erst später bewusst wurde: Das vermeintliche Problem liegt nicht im Wesen des Pinguins, sondern in dessen Umgebung.
Dieser Perspektivwechsel ist mehr als eine Anekdote – er ist ein Sinnbild. Für unser Urteil über andere. Und über uns selbst. Oft beurteilen wir Menschen (auch uns selbst) in einer Situation, in einem Kontext, der nicht zu uns passt, und ziehen daraus falsche Schlüsse. Hirschhausens Botschaft: Wir sind nicht falsch. Wir sind vielleicht nur nicht im richtigen Element. Hirschhausen bringt es auf den Punkt:
„Stärkt man hingegen seine Stärken, wird man einzigartig“
(Hirschhausen 2011, S. 356).
Die Geschichte enthält mehrere zentrale Botschaften:
Urteile nicht vorschnell: Oft neigen wir dazu, andere oder uns selbst nach einer einzigen Beobachtung zu bewerten. Doch diese Bewertung kann komplett falsch sein, weil es so viel mehr zu sehen und zu verstehen gilt, als wir in einem Moment wahrzunehmen im Stande sind.
Finde DEIN Element: Jeder Mensch hat Stärken und Schwächen. Doch statt sich auf die Schwächen zu konzentrieren, sollten wir unsere Stärken nutzen und ein Umfeld schaffen, in dem sie zur Geltung kommen. Ein Pinguin ist auf dem Felsen unbeholfen, im Wasser jedoch unschlagbar.
Stärken stärken – Führungsperspektiven auf das Pinguin-Prinzip
Diese Botschaft greift auch Prof. Dr. Monika Zimmermann (2016) in ihrer professionsorientierten Arbeit zur Führung auf (Arbeitsblatt 1: Malik und Hirschhausen im komplementären Dialog). Sie verknüpft das „Pinguin-Prinzip“ mit dem Verständnis wirksamer Leitung: Menschen sollen dort wirken, wo sie mit ihren Stärken sichtbar werden können. In Anlehnung an Fredmund Malik heißt das: Menschen sollten ihre Lebenskraft nicht darauf verschwenden, ihre Schwächen zu eliminieren, sondern ihre Stärken wertschätzen (lassen) und diese weiter ausdifferenzieren und ausbauen.
Gerade in der Ausbildung von (angehenden) Führungskräften wird so ein Perspektivwechsel initiiert – weg von Defizitlogiken, hin zu Ermöglichungsräumen. Zimmermann formuliert diesen Entwicklungsweg als pädagogisches Dreischritt-Modell: Begeistern – Bewusst machen – Befähigen (Zimmermann 2011, S. 213-219). Dabei ist Begeisterung kein Selbstzweck, sondern die Voraussetzung dafür, dass Menschen ins eigene „Element“ eintauchen können. Wie ein Pinguin ins Wasser.
„Alles was von uns gefordert ist, ist uns zu kennen und zu gucken, ob ich dafür in einer guten Umgebung bin.“
(Hirschhausen 2012, Minute 2:15)
Ob in der Kita-Leitung, im Team-Coaching oder in der persönlichen Lebensgestaltung – immer wieder stellt sich die Frage: Lebe ich in meinem Element? Und wie gelingt es mir, andere in ihres zu begleiten?
Vielleicht sind wir alle auf der Suche nach genau diesem Moment, dem Sprung ins Wasser, bei dem wir spüren, jetzt bin ich in meinem Element. Die gute Nachricht: Ein jeder Mensch darf sein eigenes Element finden zu Land, zu Wasser oder in der Luft. Aber das bitte mit ganzem Herzen.
An anderer Stelle gibt uns von Hirschhausen seine sieben Pinguinlektionen (Hirschhausen, 2025, S. 38f.) mit auf den Weg:
- Wo bist du gerade?
- Was macht dir Freude?
- Wer ist dir wichtig?
- Wann haben andere Freude mit dir?
- Traust du dich ins kalte Wasser?
- Dann spring!
- Wie fühlt es sich an, in deinem Element zu sein?
Was verstehe ich unter einer „artgerechten Haltung“ inspiriert vom Pinguin-Prinzip nach Hirschhausen?
Artgerechte Haltung – Resilienz im eigenen Element
In einer Zeit wachsender Anforderungen und komplexer Umfelder bedeutet Resilienz nicht, sich „besser anzupassen“, sondern das eigene Wasser zu finden. Also in Resonanz mit sich selbst, den eigenen Werten und Stärken zu kommen. In Anlehnung an das Pinguin-Prinzip von Eckart von Hirschhausen (2011, S. 355–357) wird deutlich: Der Pinguin wirkt an Land schwerfällig und ungeschickt. Doch im Wasser, in „seinem“ Element, erlangt er eine virtuose Einzigartigkeit. Resilienz beginnt – wenn wir bei diesem Beispiel bleiben – mit der Frage: In welchem Element bin ich in meiner Kraft? Nicht Perfektion ist das Ziel, sondern Passung.
Zimmermann, Schäfer und Wagner (2026) sprechen in ihrem Beitrag von einem ressourcenorientierten Verständnis von Resilienz, als eine „artgerechter Stärke“, die sich gegen ein defizitäres, technikzentriertes Verständnis abgrenzt. Sie betonen:
Resilienz ist keine trainierbare Eigenschaft, sondern eine Haltung, „die sich aus Sinnhaftigkeit, Kohärenz und Selbstverbundenheit speist. Dabei geht es nicht um das Ausbügeln von Schwächen, sondern um das Stärken der Stärken. Eine Sichtweise, die sich auch in der positiven Psychologie wiederfindet.
In diesem Sinne ist eine „artgerechte Haltung“ geprägt von innerer Beweglichkeit, Selbstrespekt, humorvoller Selbstannahme und der Bereitschaft, die eigene Umgebung aktiv so zu gestalten, dass Entwicklung möglich wird. Resilienz entsteht in lebendiger Resonanz mit sich selbst, mit anderen und mit der Welt.
Literaturverzeichnis
Hirschhausen, Eckart von. (2011). Glück kommt selten allein. Rowohlt. Reinbeck bei Hamburg
Hirschhausen, Eckart von. (2012). Das Pinguin-Prinzip – Eckart von Hirschhausen. YouTube URL: https://youtu.be/sY539oAsTb0?si=dPUeheXzDdY3hF_S (Abruf 05.12.2025)
Hirschhausen, Eckart von. (2025). Der Pinguin, der fliegen lernte: Eine Geschichte über das Leben, die Liebe und das Glück. 3. Auflage dtv. München
Malik, F. (2001): Führen, leisten, leben. Wirksames Management für eine neue Zeit. 4. Auflage. Heyne Business. München
Zimmermann, M. (2011): Naturwissenschaftliche Bildung im Kindergarten: Eine integrative Längsschnittstudie zur Kompetenzentwicklung von Erzieherinnen. (Studien zum Physik- und Chemielernen, Bd. 128). Logos. Berlin
Zimmermann, M. (2016): Vom ersten Leitungsverständnis zur wirksamen Führung. KiTa aktuell – im Blickpunkt (3): 52-55. verfügbar unter: https://coaching-zentrum-zimmermann.de/wp-content/uploads/2022/05/Zimmermann-2016_Kita-aktuell.pdf [11.07.2025].
Zimmermann, M. (Hrsg.) (2024): Coaching – zum Wachstum inspirieren. Ein interdisziplinäres, integratives Handbuch. Carl Auer. Heidelberg
Zimmermann, M., L. Schäfer u. U. Wagner (2026): Artgerecht stark bleiben – Resilienzförderung im Coaching mit Begeisterung, Bewusstsein und Befähigung. Carl Auer. Heidelberg
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