Realitätenkellner Gunther Schmidt

Supervision mit Dr. Gunther Schmidt

Supervision am 20.06.25 mit Dr. Gunther Schmidt im Club der Perspektivenwechsler

Diese ausführliche Zusammenfassung der Supervision stützt sich ausschließlich auf das Transkript der Supervision und ist gemeinsam mit Dr. Gunther Schmidt entstanden. Alle zentralen Aussagen werden mit Originalzitaten belegt. Die Namen der Teilnehmer:innen an der Supervision sind geändert worden.

Gunther Schmidts Verständnis von Supervision

Dr. Gunther Schmidt erläutert zu Beginn sein Verständnis von Supervision. Er betont, dass er sein Supervisionskonzept aus dem von ihm entwickelten hypnosystemischen Konzept ableitet. Supervision wird von Schmidt als gemeinsamer Schaffensprozess eines Erlebens beschrieben – quasi als „gemeinsame, rituelle Maßnahme zur Erzeugung von Erleben“. Dieses gemeinsame Ritual zielt vor allem darauf ab, die Selbstwirksamkeit der Teilnehmenden zu stärken: Supervision sollte „der Verstärkung der optimalen Selbstwirksamkeit dienen“ – und zwar derjenigen Person, die ein Anliegen einbringt. Denn letztlich gehe es nicht um die abwesenden Klient:innen selbst, sondern um die Wahrnehmungen und Bedürfnisse der Supervisand:innen:

„Streng genommen gibt es die [Klienten] gar nicht, über die wir reden, sondern wir reden nur über die Bilder, die wir von denen haben“.

Schmidt betrachtet dabei drei Systemebenen, die in einer hypnosystemischen Supervision relevant sind: das Klientensystem, das Beratungssystem (die Interaktion von Coach und Klient:in) und das Supervisionssystem (die aktuelle Supervisonsrunde). Jedes dieser Systeme sollte so gestaltet sein, dass es ressourcenaktivierend und förderlich wirkt. Supervision nach Schmidt soll „förderlich, ermutigend, kompetenzfokussierend, [und] stärkend“ wirken, um die Kompetenzen der Beteiligten zu aktivieren und deren Potenziale zu entfalten. Ein wichtiger Aspekt seines Verständnisses von Professionalität in Supervision ist zudem, dass auch persönliche Themen der Supervisand:innen Platz haben dürfen. Schmidt hält es für „sehr professionell“, wenn Coachees „ganz persönliche Anliegen, die gar nichts erstmal mit der Arbeit zu tun haben, [ein]bringen“, da eine Verbesserung des persönlichen Befindens sich „garantiert […] förderlich […] auf die Arbeit“ auswirkt. Mit anderen Worten: die Supervision darf auch private Belastungen thematisieren, dies sollte nur jeweils noch bezogen werden darauf, wie es eventuell auch die professionelle Wirksamkeit erhöht.

Die Rolle des Supervisors definiert Schmidt bewusst partnerschaftlich und nicht hierarchisch. Er beschreibt sein eigenes Rollenverständnis so, dass er „nicht […] der Wissende“ ist, sondern „nur ein Hypothesenbildner […] so wie ein Realitäten-Kellner“, der verschiedene Sichtweisen „anbietet“. Die „oberste Autorität“ liege bei der Supervisandin oder dem Supervisanden, welcher selbst entscheidet, „was passt oder nicht“. Damit macht Schmidt deutlich, dass Supervision für ihn ein kollaboratives Vorgehen ist: Er liefert Impulse und Hypothesen, während die Ratsuchenden steuern, was sie davon übernehmen. In diesem Sinne fragt Schmidt im Verlauf der Supervision auch immer wieder nach, ob seine Angebote für die Beteiligten passen. Dieses Verständnis – die Klient: innen behalten das „Steuerrad in der Hand“ – ist für Schmidt zentral.

Supervision am 20. Juni 2025 mit Dr. Gunther Schmidt
Supervision am 20. Juni 2025 mit Dr. Gunther Schmidt

Kommunikative Elemente und sprachliche Muster in Schmidts Vorgehen

Im Gespräch verwendet Schmidt eine Vielzahl kommunikativer Techniken und Interventionsformen, um eine vertrauensvolle Atmosphäre zu schaffen und neue Perspektiven zu eröffnen. Gleich zu Beginn achtet er auf die Ansprache-Ebene: Er schlägt formlos vor, vom „Sie“ zum persönlichen „Du“ zu wechseln („von mir aus können wir uns auch duzen“). Dieses Angebot, das die Teilnehmer:innen gern annehmen, ist ein erstes kommunikatives Element, das die Interaktion auf Augenhöhe und in entspannter Atmosphäre fördert.

Schmidt stellt vor inhaltlichen Ratschlägen zunächst zielorientierte Fragen, um den Fokus der Supervision gemeinsam festzulegen. So bittet er KarinKarin , ihr Anliegen in Form einer gewünschten Zielvorstellung zu formulieren. Er möchte „noch mal so einen kleinen Entwurf von dir hören“, wie es wäre, wenn man das Anliegen „in zufriedenstellender Weise […] hingekriegt“ hätte – „was dann anders wäre, die gewünschte Zukunftsentwicklung […] wofür [die Supervision] ein Mittel zum Zweck ist“. Diese Frage nach der Wunsch-Zukunft regt die Supervisandin dazu an, ein klares Ziel zu benennen. Karins unmittelbare Antwort auf diese Zukunftsfrage lautet knapp: „Dass ich entspannt bleibe“. Schmidt hakt hier direkt nach, um Klarheit über den Kontext zu schaffen: Er weist darauf hin, dass Karin in zwei Rollen mit ihrer Klientin interagiert (Projektmitarbeiterin und Coach) und fragt gezielt, ob sie „in allen diesen Rollen [gelassen] bleiben wollen würde“. Damit hebt er eine wichtige Unterscheidung hervor und lenkt den Blick darauf, dass unterschiedliche Rollen unterschiedliches Verhalten erfordern könnten.

Ein zentrales sprachliches Muster Schmidts ist das Paraphrasieren und Zusammenfassen von Gehörtem in seinen eigenen Worten (siehe unten). Dadurch überprüft er, ob er das Anliegen richtig verstanden hat, und vermittelt gleichzeitig dem Gegenüber das Gefühl, gehört worden zu sein. Etwa fasst er Karins Dilemma pointiert zusammen, indem er sagt, sie erlebe sich „in einer Zwickmühle“. Er beschreibt plakativ die beiden Pole ihrer Situation: Auf der einen Seite könnte Karin einfach geduldig bleiben – „gelassen“ die ständigen Wiederholungen der Klientin aushalten – und nach einer Stunde ohne Veränderung freundlich „Wiedersehen“ sagen. Auf der anderen Seite habe sie „ein zweites Anliegen in dir selber“, nämlich tatsächlich einen Fortschritt bei der Klientin zu erreichen. Solche humorvoll-überspitzten Schilderungen – hier stellt er sich vor, wie 60 Minuten mit bloßem „darüber [dass die Klientin] wiederholt“ vergehen – nutzt Schmidt als Intervention, um versteckte Annahmen sichtbar zu machen. Die Übertreibung („dann sind die 60 Minuten rum und gut, dass wir darüber gesprochen haben“) führt den Beteiligten die Unzufriedenheit mit der bisherigen Situation deutlich vor Augen und lockert zugleich die Stimmung mit einem Augenzwinkern.

Lösungs- und Ressourcenfokus ziehen sich durch Schmidts Kommunikationsstil. Statt die Klientin oder Karin zu kritisieren, lenkt er den Blick immer wieder auf Möglichkeiten und Stärken. So entwickelt er gemeinsam mit Karin das Konzept einer „optimalen Zielbalance“ zwischen Gelassenheit und Änderungswunsch. Er fragt: „Was wäre die optimale Zielbalance?“, um Karin zum Nachdenken über eine gesunde Mitte zu bewegen. Überhaupt arbeitet Schmidt viel mit offenen Fragen und Angeboten. Er betont wiederholt, dass seine Ideen nur Vorschläge sind, die auf ihren Nutzen geprüft werden sollen: „Ich würde dir […] vorschlagen – aber prüf bitte, ob das für dich passt – dass wir […] einen inneren Prozess anfangen“. Diese Einleitung nimmt Druck vom Gegenüber, etwas annehmen zu müssen, und unterstreicht die Autonomie der Supervisandin.

Ein weiteres Merkmal seiner Kommunikation sind perspektivwechselnde Interventionen. Schmidt regt an, die Situation auch aus einem anderen Blickwinkel zu betrachten. Beispielsweise bringt er die Perspektive der Klientin ins Spiel: Anstatt die Wiederholungen vorschnell als „Problem“ zu definieren, stellt er infrage, ob die Klientin das Wiederholen nicht vielleicht als eigene Lösung sieht. „Ob das für die Person selber so ist, wissen wir ja gar nicht“, gibt er zu bedenken – „vielleicht ist das aus deren Sicht überhaupt die Lösung des Tages“, sodass sie „eine hohe Wiederholungskompetenz […] bezogen auf ihre Maßstäbe“ entwickelt hat. Mit diesem ungewöhnlichen Reframing – das ständige Wiederholen als „Wiederholungskompetenz“ zu bezeichnen – schafft Schmidt einen verblüffenden neuen Blickwinkel. Seine Wortwahl humorvoll-positiv zu drehen, nimmt dem Problem etwas von seinem negativen Anstrich und zeigt Karin, dass das Verhalten der Klientin auch als Ausdruck von Konsequenz oder als Lösungsversuch für Sicherheit verstanden werden könnte. Schmidt nutzt Humor generell behutsam als Werkzeug: Auf Karins Klage, die Klientin erzähle alles mehrfach, reagiert er scherzhaft mit „Also zweimal ist in Ordnung, oder wie?“. Solche eingestreuten humorvollen Kommentare lockern die Atmosphäre und können festgefahrene Gedankenmuster unterbrechen.

Charakteristisch für Schmidts Stil ist auch der Einsatz von Bildern und Metaphern als Impulse. Er greift im Gespräch gern zu lebendigen Vergleichen, um komplexe innere Vorgänge greifbar zu machen oder Wertschätzung zu vermitteln. So vergleicht er Karins angestaute Ungeduld mit einem Dampfdrucktopf: Eine Zeit lang scheine alles in Ordnung, „aber irgendwann […] geht der Deckel auf“, wie bei einem Schnellkochtopf, der Druck ablässt. Karin erkennt sich in diesem Bild sofort wieder und bestätigt lachend: „Ja, das passt“. Ein anderes Beispiel ist Schmidts Pferde-Metapher, mit der er Karins schnelles Denken und ungeduldiges Vorausplanen bildhaft würdigt. Er vergleicht Karin mit einem ungeduldigen „Araberpferd […] das schon die ganze Zeit mit den Hufen scharrt“, während andere im Umfeld wie „belgische Acker[pferde] noch gemütlich vor sich hin traben“. Was zunächst wie eine Kritik an ihrer Ungeduld klingt, wandelt Schmidt direkt in Anerkennung um: Gerade diese hohe Energie und Schnelligkeit sei „doch auch eine hohe Qualität von dir – du hast halt schnell gute Ideen“. Durch solche Metaphern schafft er einerseits einprägsame Spiegelbilder für innere Dynamiken, andererseits reframed er negative Selbstbewertungen in positive Eigenschaften. Karin greift das Bild begeistert auf und ergänzt es mit ihrer eigenen Rennpferd-Interpretation, woraufhin Schmidt erneut empathisch verstärkt: Ein Rennpferd, das Ackerfurchen ziehen muss, verdiene „viel Empathie und Würdigung“, denn es erbringe „eine gewaltige Leistung“ in einer permanenten Herausforderung. Hier wird deutlich, wie Schmidt im Dialog mit der Supervisandin Bilder weiterentwickelt, um ihr Selbstmitgefühl und neue Sichtweisen zu ermöglichen.

Durchgehend zeigt Schmidt Aktives Zuhören: Er gibt regelmäßig kleine verbale Rückmeldungen wie „Mhm“, „Ja, ja“ oder „OK“, die signalisieren, dass er aufmerksam folgt. Er lässt seine Gesprächspartner:innen ausreden und greift ihre Worte auf, um daran anzuknüpfen. Auch wenn er eigene Hypothesen formuliert, bleibt er flexibel und lädt zur Korrektur ein, getreu seinem zuvor erklärten Rollenverständnis. Dieses Zusammenspiel aus wertschätzender Atmosphäre, zielgerichteten Fragen, Humor, bildhaften Vergleichen und ständiger Rückversicherung, ob der eingeschlagene Weg für die Supervisandin stimmig ist, zeichnet Schmidts kommunikative Vorgehensweise aus.

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S1 F5 Dr. Schmidt – Hypnosystemisch coachen – Kooperative Konstruktion von Lösungswirklichkeiten

Paraphrasieren von Aussagen der Gesprächspartner:innen

Schmidt paraphrasiert regelmäßig die Aussagen seiner Gesprächspartner: innen, um sicherzustellen, dass er sie richtig versteht und um ihre Perspektive klar herauszuarbeiten. Dabei formuliert er das Gehörte mit eigenen Worten und Bildern neu. Ein Beispiel ist die bereits erwähnte „Zwickmühle“-Paraphrase. Nachdem Karin ihr Anliegen geschildert hat, beschreibt Schmidt aus seiner Sicht noch einmal ihr Dilemma: „OK, dann würde ich das mal von meiner Seite so beschreiben…“ sagt er und führt aus, Karin erlebe sich „quasi in einer Zwickmühle“. Er erläutert die beiden Seiten dieser Zwickmühle genau: Einerseits könnte Karin einfach gelassen bleiben und die ständigen Wiederholungen der Klientin tolerieren, andererseits habe sie „ja ein zweites Anliegen in dir selber“ – nämlich den Wunsch, die Klientin möge Fortschritte machen. Indem Schmidt diesen Konflikt in klare Worte fasst, paraphrasiert er nicht nur Karins Aussage, sondern strukturiert sie auch. Karin bestätigt fortlaufend mit „Ja… ja, genau, exakt“, dass diese Zusammenfassung ihrem Erleben entspricht.

Ein weiteres Beispiel für Schmidts Paraphrasieren ist seine Formulierung von Karins „eigenem Auftrag“. Er greift ihren beschriebenen Wunsch, die Klientin voranzubringen, auf und nennt das ihren persönlichen inneren Auftrag: „du hast […] bestimmte Vorstellungen […] was vielleicht hilfreich wäre […], [das] definiere [ich] als deinen eigenen Auftrag von innen heraus im Umgang mit der Person“. Er fügt hinzu, dieser innere Auftrag – nämlich „du willst [sie] unterstützen, dass sie da irgendwie weiterkommt“ – ist sehr achtenswert als Engagement für ihren Unterstützungs-Willen, kollidiere allerdings „ein bisschen mit dem einfach nur gelassen zu sein“. Hiermit hat Schmidt in seinen Worten prägnant zusammengefasst, was Karin zuvor umschrieben hatte: dass ihr eigener Anspruch, etwas voranzubringen, mit ihrem Vorsatz zur Geduld in Konflikt steht. Diese paraphrasierende Zusammenfassung hilft Karin, ihr Anliegen klarer zu sehen; sie stimmt bekräftigend zu und fühlt sich verstanden.

Schmidts Paraphrasen dienen auch dazu, Unausgesprochenes greifbar zu machen. So verbalisiert er etwa Karins unausgesprochene Befürchtung, die Coaching-Sitzung könnte ineffektiv bleiben, indem er – in ihrem Namen – das Szenario skizziert, man habe am Ende „gut, dass wir darüber [über das Wiederholen] gesprochen haben“, ohne dass etwas Neues passiert ist. Karin selbst hatte diese Konsequenz nicht direkt ausgesprochen, aber in ihrem Ausdruck von Ungeduld lag diese Sorge implizit. Schmidts pointierte Paraphrase bringt es auf den Punkt. Allgemein lässt sich beobachten, dass Schmidt oftmals sinnhaft erweitert beim Paraphrasieren: Er wiederholt nicht nur dieselben Worte, sondern er fügt strukturierende oder pointierende Elemente hinzu (wie hier die Begriffe „Zwickmühle“ oder „eigener Auftrag“), um der/dem Sprechenden ein Spiegelbild ihres Anliegens zu liefern, an dem weitergearbeitet werden kann.

Der Club der Perspektivenwechsler – Supervision, Austausch und Entwicklung für Alumni
Der Club der Perspektivenwechsler ist ein exklusives Angebot für Absolvent:innen der Coaching-Ausbildung am Zentrum für interdisziplinäres Coaching. Er bietet einen professionellen Rahmen zur kontinuierlichen Reflexion, Supervision und kollegialen Weiterentwicklung jenseits der Ausbildungszeit. Mit seinem Fokus unter anderem auf regelmäßige Supervision durch erfahrene Lehrende schafft der Club ein verbindliches, lebendiges Netzwerk für professionelle Coaches. Die insgesamt sechs Supervisionseinheiten pro Jahr finden virtuell statt und werden durch ausgewählte Supervisor:innen begleitet, darunter renommierte Persönlichkeiten wie Dr. Gunther Schmidt.

In einer exemplarischen Sitzung im Juni 2025 machte Dr. Schmidt deutlich, wie supervisionelle Begleitung zur Förderung von Selbstwirksamkeit und Klarheit beitragen kann. Statt Lösungen vorzugeben, bot er Perspektiven als Hypothesen an. Eine Haltung, die er selbst als „Realitätenkellner“ beschreibt: Angebote machen, nicht bewerten, sondern Resonanz erzeugen. Auch für die Zuhörenden entsteht dabei ein Gewinn. So beschreibt eine Teilnehmerin, dass ihr bereits das bloße Zuhören in der Runde neue Einsichten gebracht habe – ein Effekt, der sich durch die dialogische Qualität und die respektvolle Atmosphäre des Clubs immer wieder beobachten lässt.

Der Club versteht sich damit als integrativer Bestandteil eines professionellen Coach-Seins: nah an der Praxis, getragen von Haltung, verbunden durch gemeinsame Sprache.

Spiegelung des Erlebens und der Haltung der Gesprächspartner:innen

Schmidt spiegelt fortwährend das Erleben und die innere Haltung seiner Gesprächspartnerin Karin. „Spiegeln“ bedeutet hier, dass er ihre Gefühle, Wahrnehmungen oder Einstellungen verbal zurückmeldet, sodass sie sich darin wiedererkennen kann. Ein Beispiel ist, wie er Karins innere Anspannung und Selbstbewertung thematisiert. Nachdem Karin erzählt, wie sehr sie ihre eigene Ungeduld belastet, formuliert Schmidt zurück, was das mit ihr macht: Trotz äußerer Ruhe sei sie „immer dann ein bisschen innerlich unter Spannung“, was „vielleicht jetzt nicht ein optimales Erleben da bringt“. Damit spiegelt er ihr Erleben von innerem Druck und Unbehagen, das Karin selbst angedeutet hatte. Sie stimmt dem ohne Widerspruch zu, was zeigt, dass seine Worte ihr inneres Empfinden treffend beschreiben.

Immer wieder greift Schmidt Gefühlsäußerungen oder Metaphern auf, die von den Teilnehmerinnen kommen, und spiegelt sie zurück. So hatte Karin beispielsweise ihr Dilemma als eine Art Balanceakt beschrieben – später spricht sie sogar bildlich von „wie ’ne Wippe“, auf der zwei Gewichte sitzen (ihre Geduld vs. ihr Änderungswunsch). Schmidt nimmt diese Metapher aktiv auf: Er spricht von „dieser inneren Wippe, wie du es genannt hast“ und verwendet genau Karins eigenes Bild, um mit ihr weiterzuarbeiten. Indem er ihre Formulierung wortwörtlich spiegelt, signalisiert er, dass er sie verstanden hat und wertschätzt – ihre Worte sind für ihn so treffend, dass er sie übernimmt. Dieses Spiegeln der eigenen Sprache stärkt oft die Verbindung im Gespräch und gibt der Supervisandin das Gefühl, in ihrem Erleben gesehen zu werden.

Auch Karins Emotionen werden von Schmidt einfühlsam widergespiegelt. Sie erwähnte etwa, dass sie im Arbeitskontext durch die vielen Wiederholungen „richtig sauer“ werden kann und dass sie das selbst „nervt“. Schmidt greift diese Ärger-Dynamik auf, ohne sie direkt zu bewerten: Stattdessen nutzt er das Bild des Dampfkessels, um das Aufstauen und plötzliche Herausschießen ihres Ärgers zu spiegeln („geht der Deckel auf […] wie [bei] nem Dampfkochtopf“). Karin fühlt sich durch dieses Bild offensichtlich verstanden – sie bestätigt lachend, dass das genau passe. Hier spiegelt Schmidt also ihr emotionales Erleben (den lange unterdrückten Ärger und sein plötzliches Herausbrechen) auf anschauliche Weise.

Weiterhin spiegelt Schmidt ambivalente Haltungen zurück, indem er beide Seiten der inneren Stimme einer Person ausspricht. Als Karin sich fragt, ob es überhaupt legitim sei, ihre eigene Ungeduld in der Coach-Klientin-Beziehung „zum Thema zu machen“, reagiert Schmidt nicht mit einfachem Rat, sondern spiegelt ihre Unentschlossenheit. Er antwortet paradox mit „Ja, nein. Ja, und?“ – was impliziert: Es gibt Pro- und Contra-Aspekte, und beide sind irgendwie berechtigt. Dann führt er aus, dass offenbar „eine innere Diskussion, […] eine Kontroverse in dir“ abläuft – „eine [innere Stimme] sagt: ‚Mensch, da müsste jetzt mal irgendwie…‘ und die andere sagt: ‚…das ist ja überhaupt nicht legitim… lass […] die Frau in Ruhe‘“. Auf diese Weise spiegelt er Karins innere Haltungsspannung, indem er beide Pole ihrer Gedanken laut ausspricht. Karin erkennt auch hierin ihr eigenes Erleben wieder (sie bejaht mehrfach zustimmend) und fühlt sich in ihrer Zerrissenheit verstanden, ohne dass Schmidt Partei für eine Seite ergreift.

Insgesamt zeigt Schmidt durch dieses empathische Spiegeln, dass jedes Erleben gültig ist und gesehen wird. Indem er Gefühle und Haltungen valide spiegelt, schafft er Vertrauen und ermöglicht es der Supervisandin, sich offen mit ihren inneren Prozessen auseinanderzusetzen. Das Gegenüber erlebt: „Er versteht, was in mir vorgeht.“ Diese Grundhaltung der Wertschätzung und genauesten Einfühlung zieht sich durch die gesamte Supervisionssequenz.

Karins eingebrachter Fall: Zwei Rollen und die Herausforderung der Ungeduld

Zum Verständnis des inhaltlichen Kontextes folgt eine Zusammenfassung des Falls, den Karin in die Supervision einbringt. Karin ist Coach und berichtet von einer Klientin, mit der sie gleichzeitig zwei Arten von Beziehungen hat. Sie sagt: „Mein persönliches Thema ist partielle Ungeduld beziehungsweise geduldig zu bleiben, und ich coache gerade eine Teamleiterin, bin da aber in 2 Rollen drin“. Konkret bedeutet das: Karin arbeitet mit dieser Teamleiterin zusammen als Kollegin und sie fungiert zugleich als Coach für diese Person. Diese Doppelrolle stellt für Karin eine Herausforderung dar, vor allem was ihre Geduld und Ungeduld betrifft. Sie erklärt offen, dass sie „geduldiger [ist], als wenn wir zusammen arbeiten“, wenn sie in der Coach-Rolle ist. Im Arbeits-Kontext hingegen fällt es ihr viel schwerer, gelassen zu bleiben – dort reagiert sie schneller ungeduldig.

Die zentrale Schwierigkeit im Fall ist das Kommunikationsverhalten der Klientin (der Teamleiterin). Karin schildert, dass diese Klientin „viele Sachen ständig wiederholt“. In den Coachings „sprechen [sie] Dinge zwei, drei, viermal durch“, ohne dass etwas Neues daraus entsteht. Dieses repetitive Muster strapaziert Karins Geduld enorm. Sie gibt zu, dass sie sich dabei immer wieder fragt: „Was kann ich tun, damit das Thema vielleicht mal eine andere Perspektive kriegt?“. Denn eigentlich sei es ja „Ziel vom Coaching“, neue Sichtweisen und Fortschritte zu ermöglichen, anstatt ständig im selben Gesprächskreis zu rotieren. Karins persönliches Anliegen in der Supervision ist es also, einen Weg zu finden, mit dieser Situation besser umzugehen: Sie möchte ruhig und geduldig bleiben können und zugleich der Klientin helfen, aus der ständigen Wiederholung auszubrechen.

Dabei beschreibt Karin zwei unterschiedliche innere Zielsetzungen, die aus ihren beiden Rollen entstehen. „Das sind unterschiedliche Rollen und […] ich reagiere ja auch unterschiedlich, und deshalb sind es 2 unterschiedliche Ziele“, stellt sie fest. In ihrer Funktion als Projektmitarbeiterin fühlt sie sich dem Sachziel verpflichtet – „im Job […] muss [man] was Bestimmtes schaffen“. Diese Haltung setzt sie selbst unter Druck („ich setz mich auch unter Druck“) und führt dazu, dass ihre Ungeduld im Arbeitsalltag schnell hochkocht. „Im Arbeitskontext kann mich meine Ungeduld richtig sauer machen“, sagt sie über sich selbst. Als Coach dagegen möchte sie vor allem die Entwicklung ihrer Klientin fördern. Hier fragt sie sich, wie sie der Teamleiterin zu einer neuen Perspektive verhelfen kann, sodass diese nicht immer wieder in dieselben Gespräche zurückfällt. Karins Wunsch ist es, in beiden Rollen gelassener zu werden und nicht mehr so ärgerlich oder unruhig, wenn Dinge sich wiederholen. „Eigentlich will ich gar nicht mehr sauer werden, sondern gelassen“, bringt sie ihr Ziel auf den Punkt.

Zusammenfassend steht Karin vor dem Problem, dass ihre eigene Ungeduld und ihr Veränderungswunsch mit dem tatsächlichen Tempo und Verhalten ihrer Klientin kollidieren. Sie erlebt einen Spannungsbogen zwischen dem Anspruch an sich selbst, professionell geduldig zu sein (gerade als Coach), und dem inneren Drang, die Klientin voranzubringen und Ergebnisse zu sehen. Diese Spannung wird durch die Doppelfunktion als Kollegin und Coach noch verstärkt. In der Supervision mit Dr. Schmidt erhofft sich Karin Unterstützung, eine Balance zwischen Gelassenheit und Interventionsdrang zu finden, ohne die Beziehung zur Klientin zu belasten. Schmidt greift all diese Facetten – Geduld, Ungeduld, Rollenverhältnis und Kommunikationsmuster – im Gespräch auf und arbeitet mit Karin daran, einen konstruktiven Umgang damit zu entwickeln (siehe oben). Die Fallschilderung von Karin bildet so den roten Faden, an dem entlang Schmidt seine Interventionen und Reflexionen ansetzt, um sowohl Karins Innenwelt (ihre Gefühle und Werte in den zwei Rollen) als auch mögliche Vorgehensweisen im Außen (im Umgang mit der Klientin) zu beleuchten. Durch die Kombination aus empathischem Zuhören, zielführenden Fragen, Paraphrasen und kreativen Spiegelungen gelingt es Schmidt, Karins Anliegen in seiner Tiefe zu erfassen und gemeinsam neue Ansätze im Umgang mit ihrer Ungeduld zu erarbeiten.

Monis „Hirnfurz“ vs. Gunthers „Realitätenkellner“ – zwei Metaphern mit ähnlicher Funktion

Im Verlaufe der Supervision bringt Moni spontan ihre in der Coaching-Ausbildung kultivierte Metapher vom „Hirnfurz“ ein. Sie kündigt einen Gedanken als „Hirnfurz“ an – also als einen spontanen, möglicherweise etwas verrückten Einfall. Indem Moni ihre eigene Idee scherzhaft so bezeichnet und erläutert, dass es sich um einen spontanen Geistesblitz handelt, nimmt sie dem Beitrag bewusst den „absoluten“ Ernst. Ihr Ziel dabei: Sie möchte einen neuen Gedanken in die Runde werfen, ohne Druck aufzubauen oder Anspruch auf ultimative Wahrheit zu erheben.

Der Begriff Hirnfurz signalisiert augenzwinkernd: „Das ist jetzt nur mal so eine Idee von mir – nehmt sie an oder lasst es.“

Monis Metapher lockert damit die Atmosphäre und lädt die Gruppe ein, unbefangen über ihren Einfall nachzudenken. Durch diese humorvolle Selbsteinordnung zeigt sie auch Selbstironie und Bereitschaft, über eigene Gedanken zu lachen. Das fördert im Supervisionsprozess eine offene, wertungsfreie Haltung: Ideen dürfen spontan entstehen und ausgesprochen werden, ohne dass gleich richtig oder falsch darüber geurteilt wird.

Hirnfurz nach Monika Zimmermann
Hirnfurz nach Monika Zimmermann

Gunther greift üblicherweise und an anderer Stelle im Gespräch eine ganz ähnliche Idee mit seiner eigenen Metapher auf. Er beschreibt sein Rollenverständnis als Supervisor ausdrücklich nicht als allwissender Ratgeber, sondern als „Hypothesenbildner […] so wie ein Realitätenkellner“, der verschiedene Sichtweisen „anbietet“.

Realitätenkellner Gunther Schmidt
Realitätenkellner Gunther Schmidt

Mit diesem Bild des „Realitätenkellners“ macht Gunther deutlich, dass auch er Vorschläge nur wie Optionen auf einer Speisekarte präsentiert. Die Supervisand:innen – in diesem Fall also z.B. Karin als Fallgeberin – können frei wählen, was ihnen davon zusagt. „Die oberste Autorität“ liege stets bei der Person mit Anliegen, die selbst entscheide, „was passt oder nicht“, betont Gunther. Die Metapher unterstreicht humorvoll seine dienende Rolle: Ein Kellner bietet an, drängt aber nichts auf. Genauso liefert Gunther Impulse, „während die Ratsuchenden steuern, was sie davon übernehmen“.

Der Effekt dieser Metapher im Supervisionsprozess ist ähnlich wie bei Monis Hirnfurz-Bild: Sie reduziert Hierarchie und Leistungsdruck. Gunther stilisiert sich zum Servicepersonal – ein sprachlicher Kniff, der den Teilnehmenden signalisiert, dass all seine Ideen nur Vorschläge sind und kein „Muss“. Das schafft eine entspannte, kooperative Atmosphäre, in der Experimente und neue Gedanken willkommen sind.

Gemeinsamkeiten der Metaphern: Sowohl Monis „Hirnfurz“ als auch Gunthers „Realitätenkellner“ zielen darauf ab, den Beteiligten Druck zu nehmen und kreative Denkprozesse zu fördern. Beide Bilder arbeiten mit Humor und Selbstrelativierung: Moni relativiert die Bedeutung ihres Einwurfs und ihrer Expertenrolle, Gunther relativiert seine Expertenrolle. In beiden Fällen werden neue Perspektiven spielerisch eingeführt, ohne dass jemand Hemmungen haben muss, etwas Falsches zu sagen oder annehmen zu müssen. Letztlich dienen beide Metaphern demselben Zweck: Sie ermöglichen einen lockeren, explorativen Dialog im Supervisionsprozess. Gunther knüpft auch direkt an solche Beiträge an – er nimmt Begriffe und Bilder der Teilnehmer: innen gern auf und entwickelt sie weiter. Beide Metaphern schaffen also Raum für gemeinsames Nachdenken und verdeutlichen, dass vielfältige Sichtweisen ausdrücklich erwünscht sind.

Juttas Fazit: Die Wirkung des bloßen Zuhörens

Gegen Ende der Supervision meldet sich Jutta zu Wort und kommentiert das Geschehen aus ihrer Zuschauerinnen-Perspektive. Sie betont, dass ihr bereits das bloße Zuhören in der Supervisionsrunde viel gebracht hat.

„Mir hat das jetzt allein durchs Zuhören total geholfen“, sagt sie über ihre Erfahrung, „einfach nur dabei zu sein, hatte schon eine Wirkung auf mich.“

Man spürt, dass Jutta durch das Mitverfolgen von Karins Fall und Gunthers Interventionen eigene Erkenntnisse gewonnen hat – obwohl sie selbst gar kein Anliegen eingebracht hatte. Jutta beschreibt, wie sie durch das Lauschen auf die Fragen und Anregungen an Karin auch für sich selbst neue Denkanstöße mitgenommen hat. Ihr Kommentar macht deutlich, dass Supervision als gemeinsamer Prozess funktioniert: Nicht nur die direkt Beteiligte (Karin), sondern alle Anwesenden können profitieren.

Gunther reagiert auf Juttas Rückmeldung mit sichtlicher Freude und Bestätigung. Er bestärkt Jutta darin und hebt hervor, dass genau dies ein gewünschter Effekt von Supervisionsrunden ist. „Das freut mich, Jutta. Genau darum geht’s – dass auch diejenigen, die nur zuhören, etwas für sich mitnehmen können.“ Diese Reaktion von Gunther verdeutlicht sein Selbstverständnis von Supervision als gemeinsamer Lernprozess. Tatsächlich hatte er gleich zu Beginn betont, Supervision sei ein „gemeinsame[s], rituelle[s] Maßnahme zur Erzeugung von Erleben“– ein Ritual also, bei dem alle Teilnehmenden etwas erleben und ihre Selbstwirksamkeit stärken können. Juttas Kommentar bestätigt diese Haltung nachdrücklich: Durch das Miterleben der Beratungssituation und Gunthers hypnosystemische Impulse hat sie offenbar eigene Aha-Momente gehabt. Gunther nutzt ihre Rückmeldung, um genau diesen Punkt hervorzuheben: Supervision ist für ihn dann gelungen, wenn selbst passives Dabeisein eine positive Wirkung auf die Anwesenden hat. Er knüpft damit an sein zuvor formuliertes Ziel an, nämlich dass Supervision der „Verstärkung der optimalen Selbstwirksamkeit“ aller Beteiligten dienen sollte. Juttas Erfahrungsbericht („allein das Zuhören hat geholfen“) und Gunthers Kommentar dazu zeigen eindrücklich, dass in dieser Supervision genau das stattgefunden hat – ein kollektiver Lern- und Entwicklungsprozess, bei dem auch die Zuhörenden wertvolle Einsichten gewinnen konnten.

Im Herausgeberband “Coaching – zum Wachstum inspirieren” von Monika Zimmermann ist auch Dr. Gunther Schmidt vertreten mit dem Kapitel “Coaching als kooperative Konstruktion von Lösungswirklichkeiten für einzigartige Menschen in einzigartigen Kontexten – Hypnosystemische Coachingkonzepte”

Herausgeberband von Prof. Zimmermann „Coaching – zum Wachstum inspirieren“
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„Dieses Buch stellt Coaching in seiner heutigen Vielfalt vor, die sich aus den unterschiedlichen Wurzeln in diversen Disziplinen und Grundorientierungen ergibt. Die übergreifende Leitidee des Wachstums verbindet wirtschaftliche mit menschlicher Entwicklung.

In drei Sektionen werden relevante, unterschiedliche Perspektiven auf Coaching, Beratung und Führung und die einschlägigen Schulen dargestellt.

Die Leser:innen erhalten einen orientierenden Überblick und so die Möglichkeit, den eigenen Professionalisierungsprozess gemäß individuellen Präferenzen und Perspektiven zu intensivieren.“

Prof. Dr. Jürgen Kriz, Universität Osnabrück