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Von Holzwegen und Gehwegen

Akzeptanz als Schlüssel im Umgang mit Problemen und Lösungsversuchen in der (systemischen) Therapie/Beratung und im Coaching

Auszüge aus einem Interview von Prof. Dr. Monika Zimmermann mit Dr. Bernd Schumacher
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Interview am 21.12.2022

Für meinen aktuellen Herausgeberband zum Themenfeld interdisziplinäre Coaching-Ausbildung (Carl Auer Verlag) arbeite ich mit Lehr-Therapeut*innen, Lehr-Coaches, Forschern, Lehrenden, Coaches und Führungskräften zusammen, die im Bereich Coaching – aus meiner Sicht – wirklich etwas zu sagen und an „den Nachwuchs“ weiterzugeben haben. Anhand ihrer Expertise sollen die „wahren“ Grundlagen von wirksamen Coaching-Prozessen analysiert und diskutiert werden.

In diesem Rahmen habe ich am 22. Dezember 2021 ein Interview mit Dr. Bernd Schumacher, meinem Lieblingsausbilder, geführt. Er ist systemischer Einzel-, Paar- und Familientherapeut sowie Lehrtherapeut, 1. Vorsitzender der IGST (Internationale Gesellschaft für Systemische Therapie) und tätig in der Supervision in psychosozialen/psychiatrischen Kontexten. Im Gespräch hat er sein Verständnis von Coaching sowie seine Erkenntnisse aus zahlreichen Jahren als systemischer Berater und Lehr-Therapeut dargestellt. Eine der vielen interessanten Einsichten, die aus dem Interview hervorgingen, ist Bernds Ansatz zur Problemlösung sowie die Unterscheidung von Holzwegen und Gehwegen zur Lösung des Anliegens von Klient*innen:

Was ist ein Problem überhaupt?
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Die Beschaffenheit eines Problems nach Schumacher (© Bernd Schumacher)

Zur Erläuterung dieser Frage hat mir Bernd diese Grafik gezeigt. Demnach besteht ein Problem aus einem Ist-Zustand, einer negativ bewerteten Tatsache: „So wie es ist, ist es nicht gut.“ Dieser Ist-Zustand darf nicht akzeptiert werden, denn in diesem Fall gäbe es kein Problem. Zusätzlich gibt es in der Regel eine Zielvision, einen Soll-Zustand, der erreicht werden soll. Das ist die Absicht, die jemand verfolgt und in der Regel ist sie, im Kontrast zur negativen Tatsache, positiv bewertet. Ohne die Zielvision gäbe es wieder kein Problem.

Als Illustration nannte Bernd Schumacher folgendes Beispiel: „‚Ich bin arm, aber ich akzeptier es.‘ Hier gibt es kein Problem. Wenn ich aber denke, ‚Ich wäre so gerne Millionär‘, muss ich mich auf den Weg machen, den Weg der Veränderung vom Ist-Zustand zum Soll-Zustand. Das Problem besteht nur solange ich nicht angekommen bin. Auf dieser Ebene gibt es aber keine Lösungen, sondern nur Etappenziele, die man erreichen kann, indem vorübergehend die Zielvision realisiert wird.“

Was sind Wege der Veränderung?
HOLZWEGE:
(VERSCHWINDEN VON…)
(HERSTELLEN VON…)
(AKTIVE NEGATION)
(MEHR DESSELBEN)
(VERÄNDERUNG ANDERER MENSCHEN)
(VERHINDERUNGSKONTROLLVERSUCHE)
(„MÜSSEN”)
(„TRICKS“)
(PASSIVE THERAPIE-ERWARTUNG)
(„WERKVERTRAG“)
GEHWEGE:
(UMGANG MIT…)
(AKTZEPTANZ)
(DANKBARKEIT)
(VERZICHT)
(„WOLLEN“)
(„MACHEN“)
(„LASSEN“)
(„DIENSTVERTRAG“)

Unterscheidung von zielführenden und nicht-zielführenden Ansätzen zur Problemlösung nach Schumacher (© Bernd Schumacher)

In Bezug auf die Wege der Veränderung unterscheidet Bernd zwischen Holzwegen und Gehwegen, also den Ansätzen, die seiner Ansicht nach funktionieren, und denen, die nicht funktionieren: „Holzwege sind zum Beispiel, dass ich Sachen zum Verschwinden bringen will, oder, dass ich Dinge herstellen will, die man nicht herstellen kann: Akzeptanz etwa kann man nicht herstellen. Es funktioniert nicht, immer mehr desselben zu machen, um etwas herzustellen. ‚Verschwinden von‘ ist im Grunde aktive Negation, also ich will, dass irgendetwas verschwindet. Auch andere Menschen kann man nicht verändern. Was niemals funktioniert, sind Verhinderungskontrollversuche, also ‚was mache ich, um zu verhindern, dass…‘ So funktioniert das Leben nicht. Auch passive Coaching- oder Therapieerwartung funktioniert nicht. Das findet auf einer Meta-Ebene zum Coaching selbst statt. Oder auch das Erstellen eines Werksvertrags, mit dem gesagt wird ‚mach du das für mich.‘“ Gemäß systemischem Denken ist das Problem gar nicht selbst das Problem, sondern die eingeschlagenen (Holz-)Wege zur Lösung.

Welche Ziele können erreicht werden und welche nicht?
NICHT ERREICHBARE ZIELE:
(ZUSTÄNDE)
(VOLLSTÄNDIGKEIT)
(AMBIVALENZFREIHEIT)
(PERFEKTION)
(SELBSTOPTIMIERUNG)
(„ICH“)
(„DER“ SINN DES LEBENS)
(GERECHTIGKEIT)
(LÖSUNGEN OHNE VERZICHT)
(VERÄNDERUNG OHNE PREIS)
ERREICHBARE ZIELE:
(AKZEPTANZ VON AMBIVALENZEN)
(KOHÄRENZ)
(SELBSTWIRKSAMKEIT)
(ENTSCHEIDUNGSFÄHIGKEIT)
(GELASSENHEIT)
(SINNVARIANZ)
(KONNEKTIVITÄT)
(„RESONANZ“)

Unterscheidung von erreichbaren und nicht-erreichbaren Zielen in der Problemlösung nach Schumacher (© Bernd Schumacher)

Bernd Schumacher zufolge sind nicht erreichbare Ziele unter anderem Zustände, da Zustände nicht hergestellt werden können. Ebenso können auch Vollständigkeit oder Ambivalenzfreiheit usw. nicht hergestellt werden. Er erklärt weiter: „Perfektion gibt es nicht, Selbstoptimierung gibt es nicht. Mich gibt es auch nicht. Der Sinn des Lebens ist Unsinn. Gerechtigkeit kann es nicht geben. Es gibt keine Lösungen ohne Verzicht. Und es gibt auch keine Veränderung ohne Preis.“

Was laut Bernd hingegen möglich ist, ist der „Umgang mit“. Demnach sieht er seine Aufgabe darin, den Leuten den Umgang mit den Dingen beizubringen: „Der ,Umgang mit‘ beinhaltet Haltung. Hilfreich dabei sind die Akzeptanz, Dankbarkeit, Verzicht, aber auch diese kann man nicht herstellen, sie sind de facto unverfügbar. Das Herstellen, also ‚ich muss akzeptieren‘, funktioniert nicht.“

Auch andere Herangehensweisen betrachtet er kritisch: „,Wollen‘ geht, aber auch nicht immer. Man kann auch zu sehr ‚wollen‘. ‚Machen‘ geht auch, aber nur bei den Dingen, die man ,machen‘ kann. Dinge, die man nicht ‚machen‘ kann, sollte man lassen. Das Ganze (Therapie, Coaching, Beratung) basiert auf Dienstverträgen, d.h. der Befähigung der Leute es selbst zu machen.“

Als erreichbare Ziele nennt Bernd Schumacher Akzeptanz von Ambivalenz, Kohärenz, Selbstwirksamkeitserleben, Entscheidungsfähigkeit, Gelassenheit, Sinnvarianz, Konnektivität, verstanden als „in Beziehung sein“, und “Resonanz“ im Sinne von Hartmut Rosa:[1] „Resonanz ist natürlich auch unverfügbar, aber ich kann mich in einen Zustand bringen, in dem ich resonanzfähig bin. Neugierde zum Beispiel ist dabei hilfreich.“

Was er hierbei für wichtig hält, ist, dass dieser Ansatz auf alles übertragen werden kann, da Coaching, systemische Beratung, Therapie, sich alle letztendlich mit menschlichen Problemen beschäftigen. Der Unterschied ist für Bernd dementsprechend minimal. Er betont zudem, dass seiner Meinung nach Methoden meistens schwachsinnig sind: „Im Gegensatz zum Coaching lernt man in Ausbildungen der Psychologie oder auch der Psychotherapie klassischerweise Wissen und Verstehen. Man lernt Distanz, man lernt Kontrolle über Prozesse mithilfe von Methoden. Das ist genau der Denkfehler. Systemische Therapie und Beratung hingegen basieren letztendlich auf der Haltung des Nichtwissens und des Nichtverstehens. Sie basieren auf der Kombination aus Distanz und Nähe, um so den Menschen, der zur Beratung kommt, überhaupt erst zu verstehen: Was möchte er, wie ist er strukturiert. Hier haben wir sehr, sehr viel Vertrauen in die Fähigkeiten der Leute, die uns begegnen und wir lernen eine Haltung, aber keine Methoden. Man braucht keine Methoden. Nirgendwo.“


Herzlichen Dank lieber Bernd für Deine wertvollen Einblicke und Anregungen.

Das vollständige Interview wird voraussichtlich im Frühjahr 2023 in meinem Herausgeberband zum Thema Coaching-Ausbildung beim Carl Auer Verlag erscheinen. Weitere Informationen hierzu folgen.

Informationen zur systemischen Grundausbildung bei Dr. Bernd Schumacher und dem nächsten Info-Termin dazu finden Sie hier: http://www.igst.org

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[1] Rosa, Hartmut (2020). Resonanz – Eine Soziologie der Weltbeziehung. Frankfurt am Main: Suhrkamp, 4. Auflage.

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