Ein Beitrag von Simon Benz (Teilnehmer der Coaching-Ausbildung am Zentrum für interdisziplinäres Coaching)
Diese Kolumne ist ein kurzer Bericht über das vergangene, zweite Ausbildungswochenende der 4. Gruppe zur Ausbildung als interdisziplinärer Coach bei Monika Zimmermann.
Als Gastdozentin war Nina Reidel (WERDEWECHSEL Training, Coaching, Yoga) vor Ort, um mit den Teilnehmenden den zweiten Tag zu gestalten.
Die Inhalte dieses Artikels stellen lediglich eine kleine Auswahl an behandelten Themen des dreitägigen Wochenendes dar und sind mitnichten vollständig. Ich hoffe trotzdem, dass hiermit ein kleiner Einblick in die Lehrpraktiken, Themen und dem Selbstverständnis des Zentrums für interdisziplinäres Coaching gegeben werden kann und dabei das ein oder andere fachlich mitgenommen wird. Der Kolumne-Beitrag ist wie folgt aufgebaut:
Tag 1 – Ein individuelles Coaching-Konzept entwickeln
Zum Start ging es mit Monika Zimmermann darum ein eigenes Coaching-Konzept zu entwickeln und zu klären, was darin beinhaltet sein sollte.
Tag 2 – Coaching-Prozesse verstehen
Für den zweiten Tag war als Gastreferentin Nina Reidel vor Ort, die mit ihrer stark visuell orientierten Vorgehensweise mit Hilfe vieler Flipcharts den Teilnehmenden den Coaching-Prozess näherbrachte – inklusive wie ein Erstgespräch aussehen kann.
Tag 3 – Mit den Klient*innen systemisch Denken
Als Abschluss behandelte die Gruppe gemeinsam wieder mit Monika Zimmermann als Referentin die einzigartigen Perspektiven des systemischen Denkens und wie dieses anhand von systemischen Aufstellungen im Coaching angewendet werden kann.
Tag 1 - Ein individuelles Coaching-Konzept entwickeln
Am ersten Tag des Ausbildungswochenendes drehte sich alles um das Coaching-Konzept, dass die Teilnehmenden im Laufe des Jahres als Prüfungsleistung entwickeln werden. In einem Coaching-Konzept steht das individuelle Verständnis von Coaching des Coaches im Vordergrund. Hierbei betonte die Dozentin explizit, dass sich dies dynamisch über die Zeit entwickeln darf und keinesfalls in Stein gemeißelt ist. Als Beispiel nannte Monika Zimmermann hier ihre eigene Entdeckung von Carl Rogers, dessen Prinzipien und Forschungen sie im Anschluss in ihr eigenes Konzept integrierte und mit ihren anderen Schulen verschmolz.
Dieses Verschmelzen von Schulen und Ansätzen hob die Kursleiterin ebenfalls als integralen Part hervor. Eine wissenschaftliche Grundlage sorgt dabei für eine Abgrenzung zur Scharlatanerie, vermittelt ein professionelles Außenbild und betont das eigene Handeln auf einer ethischen und fundierten Basis. Die kombinierten Schulen, Disziplinen und Methoden sollen vom Coach im Konzept aufbereitet werden. Hierzu ist es notwendig, sowohl die Schnittmengen als auch die Unterschiede der eigenen Ansätze hervorzuheben und zu beschreiben.
Einen besonderen Fokus erhält dabei eine entscheidende Komponente: das Ich.
Monika Zimmermann unterstrich, dass vor allem die Coaches selbst hinter dem eigenen Konzept stehen müssen. Daher muss neben den Unterschieden und Gemeinsamkeiten der eigenen Ansätze die individuelle Persönlichkeit des Coaches einfließen: wie wirken mein Ich und meine gewählten Ansätze zusammen? Denn ein Coach muss vor allem sich selbst in seinem Konzept wiederfinden und es nach außen kongruent repräsentieren.
Das Ich findet sich in erster Linie im Leitbild des Coaches wieder. Dies wird im Zentrum daher bewusst als “Leuchtturm” des Konzepts bezeichnet. Laut Nikolai Brosch (2021) kann ein Leitbild demnach in fünf separate Elemente gegliedert werden:
Jedes der fünf Elemente aus Abbildung 1 muss sich in einem professionellen und ethischen Coaching-Konzept wiederfinden. Hierbei hob sie wieder hervor, dass eigene Prinzipien und Werte in einen wissenschaftlichen Kontext zu setzen sind. Bspw. kann mein persönlicher Leitsatz Menschen als dialogische Wesen zu verstehen über Carl Rogers personenzentrierten Ansatz untermauert werden.
Tag 2 - Coaching-Prozesse verstehen
Am zweiten Tag stand der Coaching-Prozess mit Nina Reidel im Mittelpunkt. Um die Möglichkeit zu bekommen, einen Prozess mit den Klient*innen zu starten, gab die Gastreferentin der Gruppe eine Methode zur Auftragsklärung an die Hand.
Die Methode nennt sich “3A + Ü + K” (siehe nachfolgendes Schaubild zur Auftragsklärung) und beschreibt den groben Ablauf eines Erstgesprächs mit potenziellen Klient*innen. Hierbei geben die 3 A´s dem Coach Struktur, um mit den Klient*innen ihre Absichten und Motivationen für ihren Besuch klarzustellen.
Nina Reidel beschrieb die drei Punkte mit den folgenden Fragen:
- Anlass: Was führt Sie hier her?
- Anliegen: Was ist das Bestmögliche was passieren könnte?
- Auftrag: Was erwarten Sie sich von mir?
Die Überprüfung steht für das konstante, aktive Zuhören des Coaches und das Sicherstellen, die Klient*innen richtig verstanden zu haben. Und der Kontrakt ist die Klarstellung des Coaches, was die Klient*innen von ihm*ihr erwarten können. Dies muss dabei nicht am Ende der Auftragsklärung erfolgen, sondern darf organisch an angebrachten Stellen während des Gesprächs geschehen.
Die Schranke im Schaubild zur Auftragsklärung verdeutlicht dabei, dass der Kontrakt eine Art Hürde für die Auftragsklärung darstellt – akzeptieren die Klient*innen das Angebot des Coaches? Erfüllt dieser ihre Erwartungen? Der Kontrakt wird dabei wie eine Schranke bewusst passiert, um die Auftragsklärung erfolgreich abzuschließen.
Mit Hilfe ihrer Flipcharts beschrieb Nina Reidel weiterhin einen Prozess (lat. procedere = vorwärts gehen) als ein System von Bewegungen, der sich im Coaching zirkulär verhält.
Dies bedeutet, dass eine Lernkurve der Klient*innen nicht stetig, linear steigend ist, sondern sich immer wieder um sich selbst dreht und in die verschiedensten Richtungen gehen kann. (siehe auch die Bildungsspirale von Monika Zimmermann)
Nina Reidel beschrieb als grobes Ziel des Coachings, von der Problemebene in die Lösungsebene zu gelangen. Nur dort können Ressourcen der Klient*innen aktiviert und genutzt werden. Nur dort entstehen Lösungen und werden Ziele erreicht.
Gegen Ende des Tages durften die Teilnehmenden der Referentin noch bei einer Coaching-Demo-Session zuschauen und als Beobachter aktiv werden. Hierbei erhielten Personen unterschiedliche Kriterien, die sie beobachten sollten, wie bspw. die Struktur des Coaches oder seine Mimik und Gestik. Die Einblicke waren für die Gruppe sehr wertvoll und schafften Klarheit zur konkreten Anwendung einer Auftragsklärung und wie Ziele mit einem Coachee gesetzt werden können.
Tag 3 - Mit den Klient*innen systemisch denken
„In Wahrheit ist jedes System, welches für sich isoliert betrachtet werden kann, wiederum Teil eines übergeordneten Systems.“
Niklas Luhman (1984)
Monika Zimmermann erklärte am dritten Tag mit Hilfe des Systemmodells von Klaus Mücke, wie sich Menschen Ordnung schaffen, indem sie in Systemen denken. Dabei steht der Mensch im Mittelpunkt des Modells und nach Außen folgen die größeren Systeme, in denen er sich befindet. Dabei betonte sie, dass es sich beim systemischen Denken nicht um eine geschlossene Theorie, sondern vielmehr um ein wissenschaftliches Paradigma handelt; dies bedeutet, dass es alle systemischen Theorien wie eine Wolke umhüllt.
Prof. Zimmermann stellte dar, dass systemisches Denken im Coaching die gesamte Umgebung der Klient*innen einbezieht. Die Klient*innen existieren nie allein, sondern im Kontext ihrer gesamten Umgebung. Im Gegensatz dazu steht das mechanistische oder reduktionistische Denken. Es wird angenommen, dass durch das Betrachten einzelner Teile, das große Ganze verstanden werden kann. Im Zusammenhang mit Klient*innen würde dies bedeuten, dass Probleme nur in ihnen selbst liegen und sie unabhängig von ihrer Umgebung existieren.
Systemisches Denken erhöht an dieser Stelle bewusst die Komplexität und schließt Variablen aus der Umwelt mit ein. Dies können die eigenen Eltern sein, die Arbeitskollegen, die Familie oder sogar das eigene Haustier oder das IT-System der Arbeit.
Angelehnt an Dr. Bernd Schumacher fokussiert sich ein systemischer Coach laut der Monika Zimmermann auf 3 zentrale Punkte
- Der Inhalt fragt nach dem Was: was beschäftigt die Klient*innen aktuell? Was für eine Belastung bringen sie mit? Wie versuchen sie das Problem aktuell zu lösen? Denn ein Problem ist im systemischen Kontext stets ein gescheiterter Lösungsversuch. Dies kann bspw. die Angst vor einer Ansteckung sein und das damit verbundene, übermäßig häufige Händewaschen.
- Die Form fragt nach dem Wie: wie versuchen die Klient*innen ihren Inhalt bzw. ihre Belastung aktuell zu lösen? Was sind Wechselwirkungszusammenhänge? Das übermäßig häufige Händewaschen kann bspw. den Drang darstellen, die Angst vor Ansteckung kontrollieren zu wollen.
- Die Funktion fragt nach dem Wozu oder Für was: in welchem Kontext ergibt das Problem – der gescheiterte Lösungsversuch – einen Sinn? Im Falle des Händewaschens könnte der Grund sein, mit allen Mitteln gesund bleiben zu wollen.
Monika Zimmermann fasste abschließend 4 wichtige Faktoren zusammen, um einen systemischen Blick beim Coaching einzunehmen.
- Der Coach hilft dem*der Klient*in, den Blick auf die ganze Situation zu richten.
- Er erkennt an, dass es mehrere subjektive Wirklichkeiten
- Er identifiziert Wechselwirkungen zwischen Einzelteilen und Gesamtzusammenhängen
- Er hilft, die Aufmerksamkeit auf Ressourcen und Entwicklungen zu lenken.
Zum Abschluss des Wochenendes durften die Teilnehmenden nicht nur üben, sondern kamen sogar noch in den Genuss, Monika Zimmermann bei einer Live-Coaching Session zuschauen zu dürfen, bei der sie die Systembrett-Methode mit einer der teilnehmenden Personen nutzte.
Die Systembrett-Methode ist ein Werkzeug im Coaching, das auf dem systemischen Denken, wie es bis dahin im Kurs besprochen wurde, basiert. Dabei werden Figuren auf einem Brett platziert, um die Beziehungen und Strukturen innerhalb eines Systems visuell darzustellen – Monika Zimmermann nutzt dafür alle möglichen Unterlagen, um auch die Form, Farbe, Textur des „Systems“ aussagekräftig werden zu lassen. Dies kann helfen, innere Bilder zu externalisieren, Muster und Dynamiken zu erkennen und Lösungen zu finden.
Der Coach und die Klient*innen arbeiten hierbei gemeinsam, um durch Umstellungen und gezielte Fragen neue Perspektiven und Lösungsansätze zu entwickeln. Anwendungsbereiche sind dabei u.a. Einzelpersonen, Paare und Organisationen. Diese Methode soll die Kommunikation und Problemlösung im Coaching-Prozess erleichtern und vor allem helfen das Verständnis von Beziehungen zu fördern. Daher sollte ebenfalls stets geprüft werden, ob die Methode passend zum Anliegen der Klient*innen ist (nach Reisenbauer, o.J.). [1]
[1] Entnommen aus Reisenbauer, Andreas. “Systemische Strukturaufstellungen am Systembrett und ihre Anwendung im Coaching-Prozess.” (URL: https://www.syscomm.at/files/Systembrettaufstellungen.pdf, Abruf am 21.07.2024, 19.05 Uhr) und aufbereitet durch folgenden Befehl mit ChapGPT 4o: „Ich bin ein Student im Fach Coaching. Ich habe kein Vorwissen, was die Systembrett-Methode ist. Ich weiß allerdings schon was Systemisches Denken ist. Bitte fasse mir die PDF in maximal 300 Zeichen so zusammen, dass ich verstehe was die Systembrett-Methode ist und wie sie angewendet wird.“
Wichtig war es der Prof. Zimmermann, vor Übergriffigkeit des Coaches zu warnen. Vor allem die Systembrett-Methode stellt eine Gratwanderung zwischen Übergriffigkeit – also einem Eingreifen des Coaches – und Vorsicht – dem reinen Halten des Klient*innen-Prozess – dar. Sie merkte an, dass ein Coach mit zu viel Eingriff in den Prozess der Klient*innen sie von ihrem organischen Wachstumspfad abbringen könnte. Dahingegen könne zu viel Vorsicht maximal dafür sorgen, dass die Klient*innen in ihrer aktuellen Situation verbleiben. Daher sollte im Zweifel „Vorsicht vor Übergriffigkeit“ das Credo sein.
Fazit
Das Ausbildungswochenende war ein voller Erfolg mit vielfältigen und tiefgehenden Einblicken in die Welt des Coachings. Am ersten Tag entwickelten die Teilnehmenden mit Monika Zimmermann ein Verständnis für Coaching-Konzepte, insbesondere durch das Leitbild. Der zweite Tag, geleitet von Nina Reidel, brachte vor allem Klarheit in die Coaching-Prozesse und die Auftragsklärung. Zum Abschluss vertiefte Monika Zimmermann das systemische Denken, illustriert durch die Systembrett-Methode. Diese wird einige der Teilnehmenden als nützliches Werkzeug sicher noch weiter auf ihrem Weg begleiten, um mit ihren zukünftigen Klienten*innen neue Perspektiven zu eröffnen und einen ganzheitlichen Blick für ihre Beziehungen zu bekommen.
Alles in allem war es ein hoch praktisch orientiertes Wochenende, dass der gesamten Gruppe stark in ihrem beruflichen und vielleicht sogar privaten Alltag helfen wird.
Die Mischung aus fachlichen und persönlichen Erkenntnissen spiegelt sich in der Umfrage wider, die am Ende jedes Wochenendes durchgeführt wird. Es fanden sich diesmal bspw. einige Punkte zum systemischen Denken und den Aufstellungen wieder und gleichzeitig ist die Wörterwolke gespickt mit Phrasen wie „auch im Schlechten Gutes“ oder „Achtsamkeit“, die auf mehr als nur Systemtheorie oder Coaching-Prozesse schließen lassen.
In diesem Sinne zum Abschluss ein Zitat von Monika Zimmermann:
„Ich bin immer als ganzer Mensch anwesend.“
Herzlichen Dank an Dich, Nina Reidel, für Deinen wertvollen Einsatz in unserer Coaching-Ausbildung. Für den Text und die einzigartige Bebilderung der Kolumne (Grafiken zur Auftragsklärung und zum systemisches Denken) danken wir Dir, Simon Benz.
Quellen
Brosch, N. (2021). Purpose in der Praxis: Insights einer Leitbildstudie aus der deutschen Wirtschaft. Controlling, Spezialausgabe Sommer 2021, 36-39. (URL: https://www.horvath-partners.com/fileadmin/horvath-partners.com/assets/05_Media_Center/PDFs/Fachartikel/de/20210928_Purpose_in_der_Praxis_Brosch_g.pdf, Abruf am 21.07.2024, 19.00 Uhr)
Luhmann, N. (1984). Soziale Systeme: Grundriß einer allgemeinen Theorie. Suhrkamp
Mücke, K. (2019). Probleme sind Lösungen. Systemische Beratung und Psychotherapie – ein pragmatischer Ansatz – Lehr- und Lernbuch. 5. Aufl. Berlin: Ökosysteme Verlag.
Reisenbauer, Andreas. “Systemische Strukturaufstellungen am Systembrett und ihre Anwendung im Coaching-Prozess.” (URL: https://www.syscomm.at/files/Systembrettaufstellungen.pdf, Abruf am 21.07.2024, 19.05 Uhr)
Schumacher, Dr. Bernd (o.J.). Skriptauszüge aus Ausbildungsunterlagen von Prof. Dr. Monika Zimmermann
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Prof. Dr. Jürgen Kriz, Universität Osnabrück