Wie können neue Einsichten erlangt werden, wenn immer die gleichen Denkmuster wiederholt werden? Es mag vielleicht überraschen, aber in diese Falle tappt man womöglich gerade mit einem interdisziplinären Anspruch. Dieser ist oft dort anzutreffen, wo wichtige Lebenserscheinungen wissenschaftlich bearbeitet werden sollen. Wenn es das implizite oder explizite Ziel ist, zu einer möglichst ganzheitlichen Sichtweise auf ein Phänomen zu gelangen, kann ein interdisziplinäres Unterfangen oft nur scheitern. Warum? Tut Interdisziplinarität womöglich nicht das, was sie sollte? Welche Impulse lassen sich für interdisziplinäres Coaching gewinnen?
Eine mögliche Definition von Interdisziplinarität beschreibt diese als wissenschaftliche Kooperation oder „Zusammenwirken von Personen unterschiedlicher Disziplinen, die ein Thema durch gemeinsame Perspektivwechsel zu deuten versuchen und Konsequenzen für Denken und Handeln in den jeweiligen Feldern in den Blick nehmen.“ [1; S. 63ff.] Auf Wikipedia heißt es etwa: „Interdisziplinarität bedingt das Zusammenführen verschiedener Teilaspekte“ [2]
Interdisziplinarität ist heutzutage in allen möglichen Bereichen gefordert. Sowohl in der wissenschaftlichen Forschungsarbeit als auch in Praxisbereichen der direkten Arbeit mit Menschen. Was Interdisziplinarität eigentlich ist und wie sie konkret funktioniert, darf immer wieder ins Bewusstsein geholt werden. Im Kapitel von Lerch und Weitzel des neuen Herausgeberbandes von Prof. Monika Zimmermann [1] geben die Autoren eine Definition der diversen Begriffe und gehen darauf ein, dass Interdisziplinarität im Coaching als Kompetenz und insbesondere als Grundhaltung von Coaches zu verstehen ist. Und zwar gerade deshalb, weil das Zusammentreffen und die „Interaktionen zwischen Personen mit verschiedenen Wissensständen und Standpunkten […] Kernbestandteil eines Coachings ist“. [1; S. 63ff.] Interdisziplinarität ist „die Zusammensetzung von Informationen aus verschiedenen Positionen, Fächern und Denkrichtungen.“. [ebd.] Coaches „sind in der Lage, verschiedene disziplinäre Sichtweisen, Methoden, Argumente usw. in ganz verschiedenen praktischen, empirischen und wissenschaftlichen Kontexten zu verbinden.“ [ebd.]
Im Folgenden wird ein weiterer Standpunkt vorgestellt, der gleichermaßen für Coaches wie auch für Lebenswissenschaftler:innen und Personen des Gesundheitswesens von Interesse sein dürfte. Dies bietet allen an Interdisziplinarität und Coaching Interessierten eine zusätzliche Sichtweise, um potenzielle Gemeinsamkeiten zu ihrem eigenen Arbeitsbereich zu erkennen, der in ähnlicher Weise Interdisziplinarität anstrebt. Der methodologische Status Quo kann in dem Fall als unzureichend erachtet werden, wenn er durch nur eine einzige Fachdisziplin bzw. Fächergruppe (im Fall von Coaching z.B. die Psychologie, im Fall der Medizin die Naturwissenschaft) vorgegeben wird.
Der Philosoph Hans Jonas schrieb darüber, dass bestimmte Themen es einfach erfordern, unser historisch veranlagtes Fächerdenken zu transzendieren: [3]
„Das Phänomen des Lebens selber verneint die Grenzen, die gewohnheitsmäßig unsere Disziplinen und Arbeitsfelder trennen.“
Hans Jonas
Er bezieht sich hier konkret auf den Untersuchungsgegenstand des Organischen, d.h. ‚Leben‘, traditionell der Biologie zugeordnet. Dabei wird gerade in den sog. Lebenswissenschaften, die zum größten Anteil molekularbiologisch und biochemisch ausgelegt sind, komplett daran vorbei geforscht, was Leben eigentlich ist. Denn die Abgrenzung zu Nicht-Leben ist selbst nicht Teil der Biologie. Es wird ein problematischer Lebensbegriff vorausgesetzt, der Leben nur in seiner mechanizistischen Äußerlichkeit untersucht.
Manche Aspekte dieser somit rätselhaft bleibenden Lebendigkeit werden zu Problemstellungen der Medizin, bekannt unter Begriffen wie ‚psychosomatisch‘, ‚unerklärliche Symptome‘ oder auch ‚Placebo-Effekt‘. Weniger assoziiert man diese etwa mit Philosophie oder Anthropologie, dafür neuerdings immer mehr mit Neurowissenschaft. Diese ist heutzutage wiederum hauptsächlich der Biomedizin als Erklärungsparadigma unterstellt. Das Problem daran ist, dass dort keine theoretischen Grundlagen für das Verständnis von Ganzheiten und systemdynamischen Relationen gegeben sind, welche die genannten Gegenstände jedoch nachweislich erfordern. Und zwar deshalb, weil jene Phänomene sich ausschließlich in der Ganzheit einer Person zeigen und nie in den einzelnen Ebenen, anhand welcher sie heutzutage reduktionistisch zu erklären versucht werden. Psychosomatische Symptome oder Placebo-Effekte stecken weder ‚im Inneren‘ der Psyche noch in zellulären Prozessen oder Molekülen (und im zweiten Fall schon gar nicht in einem per Definition wirkungslosen Placebo-Medikament). An manchen Forschungsfragen wurde immerhin schon seit Längerem offensichtlich, dass mehr als nur eine klar abgegrenzte Disziplin zu deren Bearbeitung erforderlich ist, wie z.B. Philosophie, Neuro- und Kognitionswissenschaft beim international äußerst beliebten und analog zu den oben genannten Beispielen ebenfalls unter bestimmten Forschungsschwerpunkt ‚Bewusstsein‘.
Wie lassen sich solch wichtige, aber äußerst komplexe Lebenserscheinungen nun interdisziplinär bearbeiten, um dadurch zu einer möglichst ganzheitlichen Sichtweise gelangen? Das ist alles andere als leicht zu beantworten. Es kann jedoch nicht Sinn der Sache sein, die Methoden einzelner, voneinander isolierter Fachdisziplinen lediglich aufzusummieren oder aufeinander umzumünzen. So entsteht kein Verständnis für das große Ganze.
Der Kybernetiker S. Beer äußerte sich in den 80ern kritisch zum Thema Interdisziplinarität: Zwar schießen interdisziplinäre Institute an Universitäten wie Pilze aus dem Boden, doch eine bloße Kombination verschiedener von vornherein limitierter Kategorien wird nie dazu in der Lage sein, ihren Gegenständen gerecht zu werden. Es mag zwar etwas harsch klingen, wenn er schreibt, dass sogenannte ‚interdisziplinäre Studien‘ meist aus einem Kreis händchenhaltender Fachleute in gegenseitiger Bestärkung bestehen, wobei das vermeintliche Thema längst durch das Loch in der Mitte durchgerutscht ist. [4] Vielmehr brauche es eine Art Überdisziplinarität, im Sinne einer Transzendierung von Fächergrenzen, mit Synthese statt Analyse, unter Einsatz metasystemischer Methodik. Dazu bestünde allerdings noch gar keine Einigkeit, wie so etwas gelehrt werden kann und wer, wenn überhaupt, dafür als Expert:in qualifiziert wäre. [vgl. ebd.]
Ein blind verfolgter interdisziplinärer Anspruch birgt außerdem die Gefahr, nicht so integrativ zu sein, wie es eigentlich beabsichtigt ist. Diesem Problem müssen sich vermutlich viele ganzheitliche Ansätze stellen, so etwa auch das Biopsychosoziale (Krankheits-)Modell (Engel) [5; vgl. 6]. Ist kein theoretisches Modell vorhanden, dass verschiedene, womöglich entgegengesetzte Modelle integriert und im konkreten Fall zu einer Wahl verhilft [7], wird womöglich auf (un-)bewusste Dogmen zurückgegriffen [6] oder das eine Modell wird einfach unter das andere subsumiert [7].
Aus diesem Grund kommt auch interdisziplinäres Coaching nicht ohne philosophische Grundlagen aus, neben psychologischen, psychotherapeutischen, sozialwissenschaftlichen, systemtheoretischen, konstruktivistischen uvm. Auf der wissenschaftlichen Ebene des Coachings sollen „[d]ie Grundlagen von wirksamen Coaching-Prozessen […] interdisziplinär, Schulen übergreifend und aus völlig unterschiedlichen disziplinären Blickwinkeln betrachtet und diskutiert werden.“ [1; S. 4ff.] Auf der Praxis-Ebene zeichnet einen professionellen Coach dabei aus, dass er sich stets den Grenzen der eigenen Methoden, des eigenen Erkenntnisvermögens sowie den eigenen Einstellungen und Bewertungen bewusstwerden muss. [ebd.]
Tatsächlich ist es wohl genau dieses Repertoire, welches auch Wissenschaftler:innen zu einer ganzheitlichen und philosophisch informierten Perspektive auf Lebensphänomene verhelfen könnte. Doch leider ist diese Form der Reflexion (auf die eigenen theoretischen Vorannahmen) in der Medizin geschweige denn Biologie bisher nie integrativer Bestandteil der theoretischen und praktischen Arbeit als Wissenschaftler:in gewesen. [vgl. 8; S. 2f.]
Warum in der Wissenschaft typischerweise nicht ‚überdisziplinär‘ vorgegangen wird, hat gute Gründe: Dass es wissenschaftliche Disziplinen, Fächer und Schulen gibt, hat den wichtigen methodischen Vorteil, Komplexität zu reduzieren. So ergeben sich Problemstellungen von Teilen eines Ganzen, die sich weder aus übergeordneter Perspektive zeigen noch so analysiert werden können. Allerdings scheinen im Angesicht der elaborierten Ausdifferenzierung von Forschungsfeldern bestimmte Gegenstände zunehmend eine gewisse Überperspektivität zu erfordern, welche die einzelnen Blickwinkel übersteigt und all die Spezialisierungen wieder zusammenführen kann. Doch wie ist eine solche zu bezeichnen, gehört sie selbst bereits einer Disziplin an? Kann es ‚Interdisziplinarität‘ als Fach geben? Jedenfalls handelt es sich bei den zugrundeliegenden Gegenständen (z.B. Organismus, Bewusstsein, Placebo-Effekt usw.) oft um Problemstellungen von Ganzheiten, die wiederum nicht durch Analysen ihrer Teile bearbeitet werden können. Besteht das interdisziplinäre Vorgehen nur aus einer Aufsummierung solcher Teilanalysen, kann dies nicht zielführend sein. Sinnvolle Interdisziplinarität muss prinzipiell immer Komplexität erhöhen, und genau hier liegt natürlich die größte Herausforderung.
Manche Arbeitsbereiche, wie einerseits interdisziplinäres Coaching und andererseits philosophisch geleitete Reflexionen komplexer medizinischer Problemstellungen, nehmen diese Herausforderung an. Während wirksames Coaching Menschen dabei unterstützt, ihre Wahrnehmung zu erweitern und entscheidungsfähig [1; S. 4ff.] zu werden, hilft philosophische Reflexion vereinfacht gesagt der eigenen wissenschaftlichen Einstellung, nicht dogmatisch zu werden und – weniger drastisch formuliert – den Zugang zu anderen Denkweisen offen zu halten. Und auch hier wird die Parallel transparent zum professionellen Anspruch an Coaching. Das Blog-Projekt Licht Dazwischen – Wissenschaft und Philosophie in Wechselbeziehung wurde beispielsweise in der Absicht gegründet, über kritische Themengebiete der Medizin aufzuklären und den Blick für mehr Perspektiven zu erweitern.
Hierfür wird eine philosophische und wissenschaftstheoretische Herangehensweise aufgegriffen, die die Sicht auf die eigenen konzeptuellen Vorannahmen schärfen soll. Ähnlich heißt es beim professionellen Coaching, dass rückwirkend das eigene Selbstkonzept erweitert wird. [ebd.] Beim Coaching bezieht sich dies auf die Person im Privat- und/oder Berufsleben, mitunter als Teil einer größeren Organisation. Bei Licht Dazwischen geht es dagegen um eine Reflexion der eigenen theoretischen Einstellungen. Angesprochen sind v.a. angehende Forscher:innen, Personen des Gesundheitswesens wie auch Laien, wenn sie sich mit bestimmten Grenzgebieten der Medizin befassen. Denn diese Themen machen eine solche Reflexion erforderlich, indem z.B. bei der eingangs erwähnten Psychosomatik das philosophische Körper-Geist-Problem immer schon miteinbezogen werden muss.
Diese Form der systemdynamischen Strategie entspricht auch dem Kern des Coachings [ebd.]: Das Reflektieren des eigenen Standpunktes, welcher bisher als selbstverständlich erachtet wurde. Hier wird aber nicht einfach nach „der“ einen Hauptursache für ein Problem gesucht, worauf schließlich reduziert wird. Vielmehr soll diese Herangehensweise dazu beitragen, sich der Wurzel von bestimmten Entwicklungen anzunähern, welche systemisch gesehen viele Gründe/Motivationen hatten/haben, aber womöglich irgendwann in eine ‚Sackgasse’ geführt haben. Dies beschreibt im Übrigen auch genau das Wesen von strukturanalytisch fundierten Psychotherapiekonzepten, mit besonderer Indikation bei psychosomatischen Erkrankungen (siehe z.B. [9]). Letztendlich können sich so neue Denk- und Handlungsspielräume eröffnen, mit wieder neuen Problemen auf dem Weg zu positiver Veränderung. Diesen Nutzen haben auch Coaches davon, sich einer erhöhten Komplexität auszusetzen.
Der zunehmende gesellschaftliche Bedarf für systemische Analysen zeigt sich sowohl im großen Erfolg von systemischem Coaching als auch anhand der Entstehung der Integrativen Medizin [z.B. 8] und darauf aufbauend Projekten wie Licht Dazwischen: Einerseits machen gewisse gesellschaftliche Faktoren wirksame Unternehmens- und Mitarbeiterführung immer schwieriger und komplexer, wodurch die Entwicklung von entsprechenden Kompetenzen zunehmend erforderlich wird. [1] Andererseits erschweren bestimmte Umstände auch dem Gesundheitssystem samt dessen Akteuren eine ganzheitliche und personenzentrierte Medizin. Als Folge kommt es zu einer Diskrepanz und Spaltung im Individuum: Im Professionellen wird womöglich ein ‚harter‘ biomedizinischer Ansatz verfolgt, während in der gelingenden, empathischen Interaktion mit anderen doch genau jene von der Biomedizin exkludierten, subjektiven Faktoren im Vordergrund stehen. Manche Leute brüsten sich womöglich mit einem vermeintlich rein naturwissenschaftlichen Weltbild. Wenn sie aber in Beziehung treten, wenn sie z.B. zum Arzt gehen, möchten sie selbst als Subjekt, und nicht als biochemischer Schaltkreis betrachtet und in ihrem Fühlen und Denken ernst genommen werden. Der Forscher selbst kann problematische Konzepte innerhalb seines Forschungsvorhabens meist uneingeschränkt anwenden, sogar ohne dabei jemals auf Widerstände zu stoßen, während sich Probleme erst auf ganz anderer, oft praxisbezogen Ebene zeigen: Mag etwa die Reduktion der subjektiven Dimension (Denken, Fühlen, etc.) auf molekularbiologische Prozesse für den Biomediziner unproblematisch sein, so erweist sich dies für die persönliche Interaktion zwischen Arzt und Patient als Hindernis. Beim professionellen Coaching ist in ähnlicher Weise von unbewussten Diskrepanzen zwischen Denken, Fühlen und Handeln beim Klienten die Rede, welche die Handlungsfähigkeit hemmen. [1] Diesen Spannungszustand gilt es zunächst einmal bewusst zu machen.
Im Unterschied zu Coaching ist bei Licht Dazwischen nicht die psychische und handelnde Person in Interaktion mit anderen gemeint, sondern die kollektiven Denkmuster, theoretischen Einstellungen und Ideen, die sich aus den aktuellen gesellschaftlichen Paradigmen ergeben und sich wiederum in der einzelnen Person manifestieren. Diese sind dabei nicht absolut, d.h. ‚los-gelöst‘ von kognitiven Mechanismen: Angesprochen wird zwar auch die Person, aber als Träger von metaphysischen Grundannahmen. Letztendlich kann ein ‚Coaching‘ bezogen auf die theoretischen Einstellungen (also bewusste oder unbewusste Überzeugungen hinsichtlich wissenschaftlich oder philosophischer Theorien) ebenso die Handlungsfähigkeit von Individuen stärken, weil mehr Flexibilität und Offenheit im Denken zu mehr Flexibilität und Offenheit in wissenschaftlichen Diskussionen führt. Während Coaching die Person im Privat- und Berufsleben handlungsfähig machen soll, so soll Licht Dazwischen den/die Forscher:in als Person des wissenschaftlichen Betriebs, die sich bestimmten medizinischen Fragestellungen gegenübergestellt sieht, handlungsfähig machen. Und zwar genau in der Art, auf die die eigene Wissenschaft betrieben wird, also Ergebnisse interpretiert und präsentiert werden. Der Anwendungsfall des ärztlichen Handelns in der Medizin [vgl. 10] beispielsweise basiert auf einer genau solchen wissenschaftlichen Handlungsfähigkeit. Die Person innerhalb ihres wissenschaftlichen Kontexts meint die Person als Assimilation theoretischer Überzeugungen. Auch dort kann angesetzt werden, um die Handlungsfähigkeit einer Person innerhalb ihrer beruflichen Institution (Wissenschaft) zu fördern.
Angenommen der/die Klient:in eines Coaches ist Mediziner:in der Psychosomatik mit einem inneren Spannungszustand aufgrund unbewusster Diskrepanzen – würde die eben beschriebene Person-Dimension der theoretischen Einstellung (s.o.) einem Coach überhaupt in den Sinn kommen, wenn er/sie sich nur auf klassische psychotherapeutische Grundlagen stützt? Selbst dort gibt es schließlich viele verschiedene Ansätze und Schulen, gerade weil manche Probleme augenscheinlich nicht immer auf eine einzige Dimension zurückführbar sind (vgl. Psychodynamik des Individuums vs. System Familie vs. Sinngehalt usw.) Insbesondere weil verschiedene Person-Konzepte angesprochen werden können, erweisen sich viele verschiedene Grundlagen für Coaching als relevant. Coaching selbst ist eigentlich keine Disziplin, sondern eine Profession, die an ihrer Basis aufgrund der inhärenten Vielfalt und damit Interdisziplinarität des Konzepts ‚Person‘ bereits interdisziplinär verortet ist. Werden die Coaching-Grundlagen nur sehr eingegrenzt verstanden, liegt das womöglich an einem reduzierten, zu einseitigen Person-Begriff.
Was die Wissenschaft von Problemstellungen des ‚Dazwischen‘ angeht – zwischen Subjekt und Welt, zwischen ‚Körper‘ und ‚Geist, zwischen ‚Natur‘ und ‚Kultur‘ usw. – so sind erst noch die nötigen philosophischen Grundgerüste mit ihren konkreten Anwendungen auszuarbeiten, um in der Praxis zu genuiner Interdisziplinarität zu gelangen. Dazu gibt es bereits mehr oder weniger fruchtbare Versuche (z.B. [11], [12]). Letzten Endes ist nie das konstruktive ‚Streiten‘ um das beste Modell in der Wissenschaft oder Philosophie das Problem – dies ist sogar notwendig – solange den Beteiligten bewusst ist, dass die persönliche Vorliebe für eine Theorie letztendlich nicht nach objektiven Kriterien bestimmt ist.
Zusammengefasst: Wenn Interdisziplinarität nur aus einer Aufsummierung von Teilanalysen unterschiedlicher Disziplinen ohne integrierende Methodik besteht oder ‚Ganzheitlichkeit‘ mehr ein eklektisches Zusammenbasteln verschiedenster Modelle ist, ist dies nicht zielführend für ein Verständnis komplexer Gegenstände. Und dies ist im Grunde alles, was mit dem Konzept ‚Person‘ zu tun hat. Der richtige Umgang mit Komplexität steigert langfristig die Handlungsfähigkeit, weil die so gewonnene Perspektivität neue Denk- und damit Handlungsspielräume eröffnet.
Text verfasst von Melina Licht
[1] M. Zimmermann, Hrsg., Coaching – zum Wachstum inspirieren: Ein interdisziplinäres, integratives Handbuch, im Erscheinen, Carl Auer Verlag, Heidelberg
[2] Wikipedia, „Interdisziplinarität“, https://de.wikipedia.org/wiki/Interdisziplinarit%C3%A4t, aufgerufen am 03.10.2022
[3] H. Jonas, Das Prinzip Leben, 1. Aufl. Suhrkamp, 1977, S. 11.
[4] H. R. Maturana und F. J. Varela, Autopoiesis and Cognition. The Realization of the living, Vol. 42. Springer Science & Business Media, 1991, S. 63 ff.
[5] Das Biopsychosoziale Modell von Gesundheit und Krankheit (nach G. L. Engel, 1977) ist eine medizinische Theorie zur systemischen Einheit der biologischen, psychischen und sozialen Dimension und dient als Ergänzung zum dominierenden biomedizinisch-naturwissenschaftlichen Modell.
[6] S. N. Ghaemi, „The rise and fall of the biopsychosocial model“, Br. J. Psychiatry, Bd. 195, Nr. 1, S. 3–4, Juli 2009, doi: 10.1192/bjp.bp.109.063859.
[7] J. Colapinto, „The Relative Value of Empirical Evidence“, Fam. Process, Bd. 18, Nr. 4, S. 427–441, Dez. 1979, doi: 10.1111/j.1545-5300.1979.00427.x.
[8] T. von Uexküll und W. Wesiack, Theorie der Humanmedizin, 3. Aufl., Urban & Fischer Verlag, 1998.
[9] J. Bullington, The Expression of the Psychosomatic Body from a Phenomenological Perspective. Springer Netherlands, 2013. doi: 10.1007/978-94-007-6498-9.
[10] K. Köhle, „‚Integrierte Medizin‘“, in Uexküll, Psychosomatische Medizin, 8. Aufl., Elsevier, 2017, S. 3–22. doi: 10.1016/B978-3-437-21833-0.00001-2.
[11] E. Thompson, Mind in life: biology, phenomenology, and the sciences of mind. Belknap Press of Harvard University Press, 2007.
[12] S. Brier, „Cybersemiotics as a Transdisciplinary Model for Interdisciplinary Biosemiotic Pharmacology and Medicine“, in Biosemiotic Medicine: Healing in the World of Meaning, F. Goli, Hrsg. Cham: Springer International Publishing, 2016, S. 23–84. doi: 10.1007/978-3-319-35092-9_2.
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