Vierter Zwischenstopp auf der Lernreise „Coaching-Ausbildung“
Die Zeit vergeht im Flug. Mit dem vierten Ausbildungsmodul, das am vergangenen Wochenende stattfand, sind unsere angehenden Coaches schon bei etwas mehr als der Hälfte der gemeinsamen Lernreise angekommen. An den vielen Verbindungen, die die Teilnehmenden zwischen den erlernten Theorien, Schulen, Ansätzen und ihren eigenen Erfahrungen knüpfen, an den weitreichenden (Selbst-)Erkenntnissen und der zunehmenden Festigung ihrer Coaching-Haltung ist abzulesen, wie weit sie auf dem Weg zur Professionalisierung als Coach schon fortgeschritten sind.
Wie immer erstreckte sich das Modul auf drei Tage, an denen die Teilnehmenden durch Monika Zimmermann und Josef Geider gefördert und gefordert wurden. Zusätzlichen vertiefenden, reichhaltigen Input gab es am Freitagabend, bei der zweiten Veranstaltung der Vortragsreihe „Führung & Coaching, zum Wachstum inspirieren“.
Freitag: Neue Ansätze mit Methoden, Übungen
- Der systemische Ansatz, Methode: Systemaufstellungen
- Personzentrierte Systemtheorie nach Jürgen Kriz (Video, Transkript): Aktualisierungstendenz als notwendige systemische Grundlage des PZA
Samstag: Persönlichkeit, Psychotherapie und Diagnostik im Coaching
- Persönlichkeitstheorien und -modelle
- Allgemeingültige Wirkfaktoren in der Psychotherapie
- Störungsbilder und deren Relevanz für Personal und Business Coaching, Psychologische Diagnostik / Managementdiagnostik, Diagnostik für Coaches
- ausgewählte Probleme, Störungsbilder, unterschiedliche Ansätze mit Fällen umzugehen und diese zu verstehen, vergleichende Betrachtung von Verhaltenstherapie, Gesprächstherapie, GGT, PZA
- selektive Indikation am Beispiel Angststörungen: Entstehung, Interventionsmöglichkeiten unterschiedlicher Schulen
Sonntag: Reflexion und der lösungsorientierte Ansatz
- Offenes und Vertiefung zu beiden Tagen
- Gemeinsame Reflexionsrunde zu Erkenntnissen aus dem Wochenende / Modul 4
- Der Ansatz der lösungsorientierten Kurzzeit-Therapie, Kennenlernen, Ausprobieren und Reflektieren der Methode: Skalierung – “solution surfing”
Bisherige Erkenntnisse aus der Ausbildung:
Öl ins Feuer der individuellen Lernreise gießen durch das Explizieren der eigenen Aha-Gedanken auf Meta-Ebene.
Um bei der Hälfte der Ausbildung mental innezuhalten, wurden die Teilnehmenden gebeten, ihre persönlichen 3 Kern-Erkenntnisse auf Kärtchen und in Form von 3 Sätzen fokussiert und schriftlich einzufangen und diese mit der Gruppe zu teilen.
Wir Menschen teilen jeden Tag unzählige negative Ereignisse und Erlebnisse miteinander; ob in den Nachrichten, im kollegialen oder privaten Austausch – oft steht das Sprechen über Probleme, andere Menschen, als negativ Bewertetes im Vordergrund und erhält den Hauptanteil unserer Gesprächsinhalte. Jeder kennt den Spruch „Geteiltes Leid ist halbes Leid“. In dieser ca. 3-stündigen Phase der Ausbildung ging es bewusst darum, Erkenntnisse zu teilen, um diesen durch das Gespräch darüber, durch das Teilhaben der anderen noch mehr Wirkkraft zu verleihen. Zunächst erstaunt über diesen Impuls entwickelte sich eine äußerst gehaltvolle Diskussion in der Gruppe, bei der die Kraft des Teilens von Erkenntnissen, Verstandenem, Transfer ihre Wirkung entfaltete und auf Meta-Ebene gewürdigt wurde.
Eine Teilnehmerin fasst diesen Prozess in Worte:
„Wir sind jetzt bei einer ganz anderen Wahrnehmung, als ich ursprünglich aufgeschrieben hatte. Also das, finde ich, ist ja eigentlich das Spannende. Du hast eine vermeintliche Erkenntnis und dabei ist die Aha-Erkenntnis eine weitaus tieferliegende.“
Monika Zimmermann bestätigt, dass diese tiefliegenden Erkenntnisse oft erst im Diskurs zu Tage treten. Auch darum verspürt der Mensch eine Sehnsucht nach wahrer Kommunikation, danach sich auf einer Wellenlänge austauschen zu können, angenommen und angekommen zu sein und dabei die Chance zu haben, entweder so zu sein, wie er ist, oder ein bisschen weiterzugehen, wo er sich allein noch nicht hin traut.
„Wahres Menschsein entsteht erst im Du.“ – Martin Buber
Kleine Geschenke erhalten die Klugheit – das Äußern/Teilen von Erkenntnissen fördert die Weisheit.
Wie fruchtbar eine solche gemeinsame Reflexionsrunde verlaufen kann, wird aus den folgenden kleinen Ausschnitten deutlich. Es handelt sich um Auszüge aus dem aufgenommenen und transkribierten Gespräch in der Ausbildungsgruppe. (Hinweis: Die Namen der Gesprächsteilnehmenden sind anonymisiert, mit Ausnahme der Ausbildungsleitung.)
Verbinden, Wahrnehmung, Wirklichkeit – ein Wortspiel
Yvonne: Verbinden. Dieses ganze Wochenende über – bei Jo gestern, bei den Vorträgen abends – überall gab es dieses semantische Differenzial, diese Gegensätze, die man aber doch wieder zusammenbringen muss, damit es funktioniert. Wie zum Beispiel bei dem Paar Veränderung und Überstabilität, muss man eben zwei oder mehr scheinbar gegensätzliche Dinge vereinen. Es handelt sich um zwei völlige Gegensätze, aber du brauchst beides, damit es funktioniert. Deswegen verbinden.
Zudem Wahrnehmung in Bezug auf die Persönlichkeit mit den Fragen:
Was nimmst du (für) wahr?
Was nehmen wir selbst wahr?
Was nehmen andere über uns wahr?
Oder für wahr? In welchen Momenten?
Und was geben wir auch preis, was dann wiederum zu einer Wahrnehmung führt? Das halte ich für einen sehr spannenden Gedanken.
Als drittes die Wirklichkeit, auch im Sinne von Wer bist du wirklich? Wann? Wo, mit wem und wie wirkst du? Wie stabil ist eine Persönlichkeit oder wie instabil? Was ist dann das, wie du es wirklich wahrnimmst? Ist es die Wirklichkeit oder ist es anders? Wie sehen es andere? Also so mit diesen Wortspielen.
Katharina: Ich finde dieses Wortspiel, das mal so auseinander zu pflücken, sehr cool. Gerade bei Wahrnehmung. Da habe ich noch nicht so drüber nachgedacht, was eigentlich in diesem Wort drinsteckt. Das hat Anklang gefunden.
Peter: Ich fand das Wort Verbinden super, muss ich sagen. Ich hätte wahrscheinlich eher wieder so ein hartes Wort wie Ambiguität aufgeschrieben. Aber das Wort verbinden ist in der Tat super. Das geht Richtung „sowohl als auch“. Ein besseres Wort dafür ist eben ein Verb wie Verbinden. Das ist noch kürzer, noch präziser. Das finde ich wirklich gut, muss ich sagen. Vielen Dank für den Gedanken.
Yvonne: Das ist ja spannend. Ohne Herrn Ohler hätte ich jetzt wahrscheinlich auch verbindend geschrieben. Und dann dachte ich, „Nein, es ist aktiv, es ist das Verbinden.“ Das ist mir selbst beim Schreiben aufgefallen. Das ist ein Unterschied.
„Ich bin halt so“ zählt nicht!
Anna: Was transportiert mein Gegenüber mir, aber auch was ich mir selbst gegenüber transportieren möchte und für was ich offen sein möchte. Ich habe sowohl das Thema Beziehung bzw. Offenheit jetzt in dem Kontext vom Wochenende erlebt, aber auch in meiner Erfahrung in dem Hostel, wo ich dieses Wochenende geschlafen habe. Es ist so, so wertvoll, wertschätzend und vor allem eben offen für Neues zu sein, mal andere Perspektiven einnehmen zu wollen.
Dann hatte ich das Thema De- bzw. Sensibilisierung. Das heißt, mir klarzumachen, dass der Satz “Ich bin halt so” nicht zählt. Denn alles, was man sensibilisiert hat, kann man auch wieder desensibilisieren. Das fand ich nochmal ganz schön und ich glaube auch, das ist ein guter Spiegel, den man ab und zu seinem Gegenüber, aber auch sich selbst gegenüber, vorhalten kann.
Als Drittes habe ich noch das Thema Freiheit genommen. Alles passiert letztendlich in mir selbst. Ich kann entscheiden, wann geht es in die nächste Beziehung, in das nächste Thema, usw. Das Problem ist vielleicht noch die Lösung. Ich entscheide aber, wann ich nach einer anderen Lösung gucke oder ob ich das Problem beiseiteschiebe oder jetzt schon bearbeite. Möchte ich es jetzt schon aus meinem Leben schaffen? Denn auch das hat eine Berechtigung, wenn ich es noch nicht abgeben möchte. Das habe ich mit dem Thema Freiheit assoziiert.
Moni: Bei mir kommt jetzt gerade der Bezug zur Gestalttherapie. Ich habe deinen letzten Punkt so verstanden: ich erkenne bei mir ein Muster und weiß, irgendwann möchte ich es ablösen, aber es ist für mich noch nicht so weit, dass ich mich davon lösen kann. So habe ich die Gestalttherapie immer verstanden. Denn das Muster ist eine Gestalt, die für dich scheinbar noch nicht vollendet ist. Vielleicht braucht es einfach noch eine Weile. So wie wir auch immer sagen, „Jedes Kind braucht seine Zeit“, so braucht vielleicht jedes Muster auch seine Zeit, bis es derartig Gestalt angenommen hat, dass du sagen kannst, „Jetzt lasse ich es gehen, wie eine Wolke. Oder jetzt räume ich es auch proaktiv aus.“ Solange es noch nicht so weit ist, macht auch Druck machen beim Coaching sowas von null Sinn. Deswegen ist es auch totaler Quatsch, wenn ich meine, schon eine Lösung für meinen Klienten im Kopf zu haben, das dann rauszuhauen. Es ist beim Klienten vielleicht einfach noch nicht Gestalt geworden.
Peter: Also dieses “ich bin halt so” finde ich wirklich eine sehr unangemessene Einschätzung. Denn man verändert sich immer, der Charakter und die Verhaltensweisen sind fluide. Man verhält sich nicht in jeder Situation immer so, sondern es gibt eben auch Abweichungen. Und man kann sich natürlich auch in hohem Maße verändern. Wenn ich mir anschaue, was ich vielleicht vor 10 oder 20 Jahren gedacht habe oder was ich gemacht habe, dann ist da immer Bewegung im Spiel. Deswegen meine Assoziation war eben das, was wir gestern thematisiert hatten: Leben ist Wandel. Ich denke, deswegen äußern diese Aussage in der Regel immer Menschen, die dazu tendieren, etwas unreflektierter zu sein.
Michael: Oder die nicht wollen. “Ich bin halt so”, da muss ich mich nicht mit meinen Problemen auseinandersetzen. Viele können, glaube ich, sich auch wirklich nicht reflektieren. Das haben sie so nicht gelernt.
Moni: Ich habe da immer den Rollladen im Kop. Bei dem Satz “Ich bin halt so” habe ich immer das Gefühl, der andere macht „Rums“ und der Rollladen knallt so richtig runter.
Sabine: Das impliziert auch, dass da keine Sonne mehr reinfällt. Dieses „Ich bin halt so“ ist eine Standardausrede für: „Ich möchte das jetzt aber auch so lassen, also lass mich doch in Ruhe.“ Da ist, wie du sagst, der Rollladen gut, denn er macht zu. Das heißt aber, da gibt es dann auch kein Licht. Da möchte man so bleiben, wie man ist, im Dunkel. Und das ist jetzt natürlich provokant, aber da bleibt es dunkel, da hast du keine Chance, mal eine Ecke auszuleuchten und mal zu gucken, sitzt da eine Spinne, die ich nicht leiden kann? Oder liegt da vielleicht noch ein Diamant? Das fehlt, wenn du zumachst. Das ist so eine Allerweltsausrede “ich bin halt so”.
Weitere individuell bedeutsame Erkenntnisse aus dem Wochenende haben einige Teilnehmende schriftlich festgehalten und teilen diese mit der Öffentlichkeit im Sinne einer Ermöglichung weiterer Erkenntnisse: Erkenne Hilfreiches und kommuniziere es.
Alina:
Erkenntnisse zum Ansatz der personenzentrierten Systemtheorie nach Jürgen Kriz:
Kriz stellt mit seinem Ansatz heraus, dass die Aktualisierungstendenz „nicht per se gut ist“. Hierzu wurde innerhalb der Ausbildungsgruppe fleißig debattiert und diskutiert.
Ich persönlich verstehe prinzipiell, was er damit meint, würde allerdings noch einen Schritt weiter gehen. Kategorien wie „gut“ und „schlecht“ sind vom Menschen gemacht und damit per se subjektiv. Zumeist gibt es kollektiv geteilte Meinungen dazu, was „gut“ und was „schlecht“ ist. Aus meiner Sicht müsste es heißen: Aktualisierungstendenz ist – Punkt. Sie ist existent. Die Aktualisierungstendenz an sich zu bewerten, ist aus meiner Perspektive völlig sinnfrei. Letztendlich ist es die Art der Aktualisierung und deren Auswirkungen, die sich subjektiv bewerten lassen, nicht die Tendenz an sich.
Erkenntnisse zu Persönlichkeitstheorien und -modelle (inkl. Diagnostikverfahren)
Für mich bestand die Kernerkenntnis darin, dass diese [Persönlichkeits-]Tests, aber auch die ihnen zugrunde liegenden Modelle versuchen, menschliches Verhalten „vorhersehbarer“ zu machen. Dabei fokussieren die Tests meist ausschließlich die sogenannte „Trait“ Komponente. Traits bezeichnen Verhaltens- und Persönlichkeitstendenzen, die isoliert vom Kontext und in der Summe der Interaktionen des Menschen mit der Umwelt sozusagen als „Wahrscheinlichkeiten“ herausgearbeitet werden können. Demgegenüber stehen die sogenannten „States“, die das situationsabhängige Verhalten eines Menschen je nach Kontext beschreiben. Da die State-Komponente hochvariabel ist, kann diese nicht gemessen werden. Insofern sind jegliche Persönlichkeitstests von Grund auf unvollständig und können die Ganzheit und Komplexität des Menschen nicht erfassen.
Erkenntnisse zu Angststörungen
Angst per se ist ein wichtiger und gesunder Warnmechanismus des Menschen, um diesen vor Gefahren zu bewahren. Sobald Ängste allerdings irrational und überangemessen werden, spricht man von Angststörungen.
Sehr interessant vor allem fürs Coaching ist der Wirkmechanismus, bei dem das Vermeidungsverhalten zur kurzfristigen positiven Wirkung führt (nämlich der Abwesenheit von Angst) und dass dadurch im Sinne der lerntheoretischen positiven Verstärkung ein Belohnungseffekt für entsteht, der eben dieses Vermeidungsverhalten hierdurch stärkt. Glücklicherweise kann Gelerntes verlernt oder neu gelernt werden. Hier kann der Coach den unterstützten Entwicklungsprozess ansetzen.
Eindrückliches Zitat von Monika:
„Je sicherer du in der Unsicherheit wirst, desto wirksamer wirst du.“
Mark:
Es gibt nicht die Lösung – Lösungen sind nicht von Dauer, sondern nur eine Momentaufnahme der aktuellen Situation. Eine Lösung kann sich auch nach einer Aktualisierung wieder verändern.
Jeder Mensch sollte eine Ordnung haben und seine Dinge ordnen, um nicht in ein Chaos zu versinken.
Aber der Mensch selbst und sein Umfeld, sprich die Systeme an die der einzelne angeschlossen ist, sollten akzeptieren, dass intern die Ordnung eines Menschen individuell ist und keinem Zwang unterliegen sollten. Denn wenn versucht wird, einem Menschen etwas aufzuzwingen, wozu er noch nicht selbst innerlich bereit ist, wird es in der Regel zu keiner Einsicht oder neuen Erkenntnis und zu keiner Änderung kommen.
Wollen Sie auch Teil einer solchen erkennenden Gruppe werden? Es lohnt sich – auf mehreren Ebenen.
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