Synergie zwischen PZA und System-Theorie: Grundlagen, Methode(n), Bezüge zum Körper und Impulse für die Coaching-Praxis
Zusammenfassung des Vortrages von Prof. Dr. Jürgen Kriz am 17. Januar 2025 in der Coaching-Ausbildung am Zentrum für interdisziplinäres Coaching
Grundhaltungen der Personzentrierten Systemtheorie
Ein wesentlicher Ausgangspunkt war die Diskussion über die Haltung, die ein Coach oder Therapeut einnehmen sollte. Drei Kernbegriffe, die aus dem personenzentrierten Ansatz von Carl Rogers stammen, wurden intensiv beleuchtet:
- Unbedingte Wertschätzung – die Akzeptanz des Klienten unabhängig von seinen Eigenschaften oder Handlungen.
- Empathie – das tiefe Verständnis für das Erleben des Klienten.
- Kongruenz – die Echtheit und Authentizität des Coaches in der Interaktion.
Prof. Kriz betonte besonders das „Unbedingte“ in der Wertschätzung. Er machte klar, dass es nicht nur darum geht, positive Eigenschaften eines Klienten hervorzuheben (oft jene Aspekte, die in der Biografie bedingte Wertschätzung erfahren haben), sondern auch schwierige, weniger offensichtliche und unliebsame Aspekte wertzuschätzen. Diese Haltung ist zentral, um das Spannungsfeld zwischen bedingter und unbedingter Wertschätzung zu erfassen.
Details zu diesen 3 therapeutischen Variablen, die wir als „WEK-Ruf“ verstehen, finden Sie in unserem Kolumnebeitrag Wertschätzung, Empathie und Kongruenz – der WEK-Ruf – Zentrum für interdisziplinäres Coaching.
Personzentrierte Systemtheorie – Unbedingte Wertschätzung als grundlegende Haltung
Prof. Dr. Jürgen Kriz in der Coaching-Ausbildung am 17.01.2025 (CA 4 Modul 5)
© Prof. Dr. Monika Zimmermann, Zentrum für interdisziplinäres Coaching
Aktualisierung: Das Potenzial zur Selbstentwicklung
Die „Aktualisierung“ beschreibt, dass Menschen ihr Potenzial unter günstigen Bedingungen so entfalten, dass dieses zu den (temporär veränderlichen) Anforderungen („Entwicklungsaufgaben“) passen. Anstatt Klienten Lösungen oder Werkzeuge aufzudrängen, sei es die Aufgabe eines Coaches, eine Umgebung zu schaffen, die die inhärenten Fähigkeiten und Möglichkeiten des Klienten fördert. Dabei wird die Umgebung nicht als Korrektiv, sondern als ein unterstützender Raum verstanden, in dem sich Menschen in ihren Sichtweisen und Handlungsmöglichkeiten neu organisieren können.
Ein Beispiel ist das Konzept der „Gewordenheiten“: Menschen entwickeln unter bestimmten Bedingungen Muster, die sowohl förderlich als auch leidvoll sein können. Ein gutes Coaching schafft Freiräume, in denen diese Muster reflektiert und transformiert werden können.
Symbolisierung: Innere Erfahrungen zur Sprache bringen
Ein weiteres zentrales Thema war die „Symbolisierung“. Sie beschreibt den Prozess, innere Erlebnisse und körperliche Empfindungen in Worte zu fassen. Da Sprache ein zentrales Element unserer Kultur und Gesellschaft ist, wird durch die Fähigkeit zur Symbolisierung Klarheit über eigene Gefühle und Bedürfnisse geschaffen. (wobei zu beachten ist, dass sich „Gefühle“ nicht nur auf „innere“ Vorgänge, sondern auch auf das beziehen, was von „außen“ wahrgenommen und bewertet wird).
Prof. Kriz wies darauf hin, dass viele leidvolle Zustände darauf zurückzuführen sind, dass Menschen ihre Erfahrungen nicht angemessen symbolisieren können. Dies führt zu innerer Inkongruenz, die durch Coaching und Therapie adressiert werden sollte. Dabei sei es entscheidend, Klienten zu helfen, ihren körperlichen und emotionalen Zustand so auszudrücken, dass sie sich anderen mitteilen können.
Selbstorganisierte Muster: Wie Probleme entstehen
Ein Hauptaugenmerk lag auf dem Verständnis von selbstorganisierten Mustern, die entstehen, wenn Systeme auf Umgebungsbedingungen reagieren. Diese Muster entwickeln sich durch Rückkopplungen und sind oft schwer zu verändern. Prof. Kriz veranschaulichte dies mit dem Bild zweier Menschen in einem Boot, die durch ihre gegenseitigen Reaktionen ein rigides Muster erzeugen, das sie beide in ihrer Handlungsfähigkeit einschränkt.
Kriz machte deutlich, dass solche Muster nicht durch lineare Ursache-Wirkungs-Zusammenhänge erklärt werden können. Stattdessen spielen Netzwerke von Beziehungen eine Rolle, in denen auch kleine Abweichungen große Dynamiken erzeugen können. Es ist nicht zielführend, nach „Schuldigen“ zu suchen, sondern es geht darum, die Dynamik des Systems zu verstehen und zu verändern.
Personzentrierte Systemtheorie – Das Verständnis von “Problemen”
Prof. Dr. Jürgen Kriz in der Coaching-Ausbildung am 17.01.2025 (CA 4 Modul 5)
© Prof. Dr. Monika Zimmermann, Zentrum für interdisziplinäres Coaching
Watzlawick (Watzlawick, 2020, S. 65f.) beschreibt das Entstehen von Problemen als die unmittelbare Folge des (bisweilen untauglichen) Versuchs, ein Problem lösen zu wollen. Er zeichnet das Bild zweier Segler, die ihr Boot zu stabilisieren suchen und sich – jeder auf seiner Seite des Bootes – immer mehr hinauslehnen in der Annahme, dass das Boot sonst kentere. Watzlawick nennt dieses für beide Personen nicht zielführende Handeln “mehr desselben“. Das Kapitel, in dem er sich mit diesem Phänomen beschäftigt, trägt daher passenderweise den Titel „Mehr desselben oder Wenn die Lösung das Problem ist“.
Beide Personen (um bei Watzlawicks Seglern zu bleiben) werden also durch ihr Tun und trotz ihres durchaus guten Glaubens, das Richtige zu tun, das Problem nicht nur nicht lösen, sondern das genaue Gegenteil des von ihnen Gewollten erreichen.
Und so kommen Watzlawick wie auch Kriz zu der Erkenntnis, dass wenigstens eine der beiden Personen etwas gänzlich anders machen müsste, etwas, was dem gegenwärtigen Bemühen so gar nicht entspricht und diesem eventuell sogar zuwider zu laufen scheint. Kriz nennt es die angemessene Verstörung der das Problem aufrechterhaltenden Ordnung, damit sich ein neues und nun hilfreiches Muster etablieren kann.
Watzlawick lässt einen seinen Segler „tollkühn“ vom Versuch des Stabilisierens des Bootes Abstand nehmen mit der Folge, dass auch der andere Segler hiervon ablässt, um das Kentern des Bootes zu vermeiden. Für beide entspannt sich die Situation und sie haben statt „mehr desselben“ eine neue Ordnung, ein neues Muster gefunden, welches das zuvor bestehende Problem „überraschend“ gelöst hat.
Ähnlich lassen sich auch sehr viele andere zwischenmenschliche Probleme beschreiben: Jeder fühlt sich als Opfer einer Dynamik, zu der er als Täter (unbewusst und unverstanden) selbst beiträgt.
Prof. Dr. Jürgen Kriz in der Coaching-Ausbildung am 17.01.2025 (CA 4 Modul 5)
© Prof. Dr. Monika Zimmermann, Zentrum für interdisziplinäres Coaching
Komplexitätsreduktion durch Ordnung
Selbstorganisierte Muster dienen der Reduktion von Komplexität. Sie erlauben es Menschen, ihre Umwelt zu strukturieren und handlungsfähig zu bleiben. Dies wird durch Ordnungen erreicht, die das Chaos in der Welt in verständliche und interpretierbare Formen bringen. Ein Beispiel ist die Bildung von Melodien aus Einzeltönen: Die Struktur einer Melodie beeinflusst, wie einzelne Töne wahrgenommen werden.
Diese Ordnungen können jedoch auch problematische Muster verstärken, wenn sie unreflektiert bleiben und sich nicht an neue Bedingungen adaptieren können. Im Coaching ist es daher entscheidend, solche Ordnungen bewusst zu machen und neue Möglichkeiten zu schaffen.
Die vier Prozessebenen der Personzentrierten Systemtheorie
Das Modell der vier Prozessebenen der Personzentrierten Systemtheorie von Prof. Jürgen Kriz bietet eine integrative Sichtweise auf das menschliche Erleben und Handeln. Die vier Ebenen beeinflussen sich gegenseitig und ermöglichen eine ganzheitliche Betrachtung des Menschen:
- Kognitive, sprachliche, symbolische Ebene – Bewusste, rationale Verarbeitung von Informationen durch Denken, Sprache und Symbole. Auch Gefühle gehören hierzu, soweit diese sprachlich erfasst und verstanden werden. Daher findet auf dieser Ebene auch Individuelle Interpretation, Sinngebung und persönliche Bedeutung von Erfahrungen statt. Die Prozesse auf dieser Ebene werden als psychisch bezeichnet.
- Interpersonelle Prozesse: soziale und interpersonale Prozesse, die Einflüsse auf das Erleben und Handeln haben. „Interpersonell“ bedeutet (im Gegensatz folgenden Prozessebene) dass die sozialen Einheiten so klein sind, dass man von Angesicht zu Angesicht interagiert (also: Paare, Familien, Arbeitsteams, kleine Gruppen usw.)
Diese beiden, typischerweise in Beratung und Coaching fokussierten Prozessebenen, sind eingebettet in
- Leiblich-organismische Ebene Körperliche Empfindungen und die affektive Basis gefühlsmäßiger Prozesse, die oft unbewusst oder vorbewusst (jedenfalls noch nicht symbolisiert) sind.
- Kulturelle Prozesse: Weder der Einzelne noch die Mitglieder kleiner sozialer Einheiten haben die Regeln des Verstehens, die verwendeten Begriff, die Metaphern und Geschichten selbst erfunden. Vielmehr benutzen sie bereits in der Kultur vorgegebene Regeln und Ordnungen – sowohl der sprachlichen Beschreibungen als auch des nonverbalen Zusammenlebens Diese Ebenen stehen in ständiger Wechselwirkung und machen deutlich, dass der Mensch nicht isoliert betrachtet werden kann, sondern als Teil eines dynamischen, mehrschichtigen Systems.
Prof. Dr. Jürgen Kriz in der Coaching-Ausbildung am 17.01.2025 (CA 4 Modul 5)
© Prof. Dr. Monika Zimmermann, Zentrum für interdisziplinäres Coaching
Praxisorientierung und Kritik an linearem Denken
Prof. Kriz kritisiert traditionelle Ansätze, die von einfachen Ursache-Wirkungs-Zusammenhängen ausgehen. Stattdessen betont er die Notwendigkeit, Netzwerke und Rückkopplungen zu analysieren. Er warnt davor, Klienten mit starren „Tools“ oder vorgefertigten Lösungen zu begegnen, da diese die Selbstorganisation und Kreativität einschränken könnten. Vielmehr sei es die Aufgabe des Coaches, Prozesse zu fördern, die Klienten dabei helfen, ihre eigene Ordnung zu entwickeln.
Personzentrierte Systemtheorie – Denk- und Handlungsräume für neue Optionen und Kreativität
Prof. Dr. Jürgen Kriz in der Coaching-Ausbildung am 17.01.2025 (CA 4 Modul 5)
© Prof. Dr. Monika Zimmermann, Zentrum für interdisziplinäres Coaching
Zentrale Erkenntnisse und Empfehlungen
Zum Abschluss hob Prof. Kriz hervor, dass Coaching ein Prozess ist, der auf Vertrauen, Offenheit und Flexibilität basiert. Coaches sollten kultivieren, mit ihrer eigenen „Dummheit“ zu arbeiten – also nicht vorschnell zu bewerten oder zu verstehen. Denn „Verstehen“ beinhaltet allzuoft, die Übernahme von inadäquaten oder reduzierten Sichtweisen auf die Probleme. Diese nicht-verstehende Haltung ermöglicht es, dass Klienten ihre Verstehensweisen genauer beschreiben bzw. „erklären“ und damit erkunden müssen. Dies hilft, diese oft unbewussten und unreflektierten Sichtweisen zu hinterfragen, Disfunktionalitäten zu entdecken und so ihre Entwicklung zu unterstützen.
Er ermutigte die Teilnehmer, sich nicht auf eine bestimmte Methode oder Theorie zu fixieren, sondern ihre eigene Haltung und Arbeitsweise zu entwickeln. Dies sei der Schlüssel, um den vielfältigen Herausforderungen im Coaching gerecht zu werden.
Prof. Dr. Jürgen Kriz in der Coaching-Ausbildung am 17.01.2025 (CA 4 Modul 5)
© Prof. Dr. Monika Zimmermann, Zentrum für interdisziplinäres Coaching
Literaturangabe
Watzlawick, P., Weakland, J., Fisch, R. (2020). Lösungen. Zur Theorie und Praxis menschlichen Wandelns. 9. Auflage. Hogrefe Verlag. Bern
Tipp: Die Website von Prof. Dr. Jürgen Kriz beinhaltet einen beeindruckenden und hilfreichen Fundus an Texten, Videos und anderen frei verfügbaren Materialien.
Besonders empfehlenswert scheint uns das dort verlinkte Interview „2014: Werner Eberwein mit JK: Interview (50 min) zur PZS“, um die Personzentrierte Systemtheorie in ihren Grundzügen kennenzulernen.
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1 PowerPoint Präsentation und Begrüßung Prof. Kriz
Abbildung 2 Zwei Personen in einem Boot (generiert mit DALL-E 3 über ChatGPT 17.02.2025)
Abbildung 3 Kernfragen der “Personzentrierten Systemtheorie” nach Kriz (Auszug aus seiner Präsentation)
Abbildung 4 Essentials der „Personzentrierten Systemtheorie“ nach Kriz (Auszug aus seiner Präsentation)
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