Wir danken unserem neuen Mitarbeiter Tobias Jaeger für den folgenden Beitrag.
„Wenn zwei sich streiten, freut sich der Dritte.“ lautet ein bekanntes Sprichwort. Und böse Zungen behaupten, dass dieser Dritte in der Regel der Anwalt oder die Anwältin sei. Nun will ich nicht leugnen, dass ich regelmäßig für meine Mandanten streite und damit auch Geld verdiene. Aber ich bin es ja nicht, der den Streit heraufbeschwört. Oder wollte irgendjemand seinen Zahnarzt verantwortlich machen für Karies und Zahnweh? Meine Zahnärztin erinnert mich an regelmäßige Vorsorgeuntersuchungen, professionelle Zahnreinigungen usw. Sie versucht also, mein Verhalten so zu steuern, dass meine Zähne gesund bleiben und sie nicht oder eben nur selten den Bohrer benutzen muss.
Nichts anderes mache ich als Anwalt: Ich rate meinen Mandanten beispielsweise, Verträge nicht übereilt abzuschließen. Bestenfalls bekomme ich die Vertragsentwürfe möglichst früh, um auf Fallstricke, Lücken oder andere Schwächen hinzuweisen. Aber ich kann nur darauf hinweisen, dazu raten. Im Übrigen ist es meinen Mandanten überlassen, ob sie meinem Rat folgen. Tun sie es nicht, muss ich (im übertragenen Sinn) manchmal den Bohrer benutzen. Natürlich kann ich einen Streit auch mit einer frühzeitigen Beratung nicht immer verhindern. Die Ausgangsposition ist aber meist eine bessere: Gehe ich aus der Poleposition ins Rennen oder stehe ich in der letzten Startreihe mit schlechten Aussichten auf den Erfolg?
In Sachen Kommunikation sehe ich einen großen Nachholbedarf.
Ich bleibe bei dem Beispiel des Vertragsschlusses: Da sprechen Bauherr und Planungsbüro über ein Bauvorhaben, sie sind sich grundsätzlich sympathisch und beschließen, es gemeinsam anzugehen. Statt nun aber miteinander zu kommunizieren (und vertraglich, möglichst schriftlich zu regeln), was genau wie und wann gemacht werden soll, geht´s einfach los. Irgendwann kommt die erste Rechnung des Planungsbüros. Und die wird nicht bezahlt, weil der Bauherr unzufrieden ist mit den bisherigen Planungsergebnissen: Zu teuer, nicht das, was er wollte und eigentlich gibt es ja noch gar keinen Vertrag. Wollen Sie raten, wer hier nicht in der Poleposition steht? Nur eines von vielen Beispielen.
Es geschieht recht häufig, dass sich im Mandantengespräch Lösungen ergeben, die nicht (nur) der rechtlichen Betrachtung eines Sachverhaltes entspringen. Die Frage „Was ist es Ihnen wert, Recht zu haben?“ kann im Gespräch zu unerwarteten Antworten und Wendungen führen. Dann nämlich, wenn ich beispielsweise die mögliche Einbuße an Lebensqualität durch die immer wiederkehrende Befassung mit einem Problem und Ärgernis betrachte. Was könnte in jener Zeit an Freudvollem entstehen oder gemacht werden…
Beim Verfassen des Skript-Teils zur Gestaltung von Coaching-Verträgen ist Moni und mir beispielsweise bewusst geworden, dass sich die individuelle Haltung eines Coaches auch in der Vertragsgestaltung deutlich zeigt: Geht der Coach grundlegend davon aus, dass er sein Gegenüber vertraglich zu irgendetwas verpflichten muss oder „unterstellt“ er dem Klienten den intrinsischen Wunsch zur kooperativen Lösung seiner Herausforderungen?
An dem Beispiel der vorzeitigen Vertragsbeendigung kann das sehr schön veranschaulicht werden. Den Coachingvertrag könnte ich in einer Art und Weise abfassen, dass eine vorzeitige Vertragsbeendigung durch Kündigung kaum noch möglich wäre. Aus Sicht des Coaches diente das der Sicherung des vertraglich vereinbarten Honorars. Das wäre aber nicht zu Ende gedacht, weil eine solche Vertragsgestaltung weitere, auch für den Coach unangenehme Folgen haben kann und im Streitfall haben wird:
Auch die durch den Coach beabsichtigte Vertragskündigung muss nun eine viel höhere Hürde nehmen. Obwohl ich als Coach eigentlich gar nicht mehr mit dem Klienten zusammenarbeiten will, habe ich den Vertrag „bis zum bitteren Ende“ zu erfüllen. Kann ich mit einer inneren Blockade meinen Klienten dann überhaupt noch zielführend coachen? Und wenn umgekehrt der Klient nicht mehr mit dem Coach zusammenarbeiten mag, zwinge ich ihn dann dazu? Im Zweifel wird der Coach sein Honorar erstreiten müssen, weil der Klient freiwillig nicht zahlt.
Also gestalte ich das Vertragsverhältnis doch lieber so, dass es eine ausnahmslos freudvolle und zielführende Zusammenarbeit von Klient und Coach ermöglicht. Leiste ich als Coach „gute Arbeit“, warum sollte der Klient die Zusammenarbeit mit mir beenden wollen? Und wenn er es doch will, nutze ich doch lieber die Gelegenheit für ein konstruktives Feedback, um mich selbst voranzubringen, statt um ein Honorar zu streiten. Die Zusammenarbeit von Klient und Coach beruht auf wechselseitigem Vertrauen, welches vertraglich nicht diktiert werden kann.
In der Beschäftigung mit der Coaching-Ausbildung, an der ich ab Juni 2023 selber teilnehmen will, hat mich das Thema Kommunikation daher besonders fasziniert. Schon die grundlegenden Annahmen für eine „gute“ Kommunikation, beispielsweise das Wahrnehmen, aber Zurückstellen von persönlichen Annahmen und (Be-) Wertungen sind von überragender Bedeutung auch bei der Gestaltung rechtlich relevanter Sachverhalte. Sobald ich Nachrichten (der Jurist meint dann Willenserklärungen) nach dem Kommunikationsquadrat „zerpflücke“, komme ich hier und da zu gänzlich anderen Erkenntnissen, die mich wiederum veranlassen, in der Reaktion hierauf meine alten Strukturen und Muster zu verlassen.
Genau hinzuhören, was eine Partei (mein Gegenüber, der eigene Mandant oder der Gegner) verlangt und vor allem wie dieses Verlangen artikuliert wird, kann manchmal den Weg zur Lösung zeigen. Denn über die mehr oder weniger objektivierbaren Sachinhalte und Appelle hinaus sind die Botschaften, die in der Selbstkundgabe und dem Beziehungshinweis „versteckt“ sind, ein vielversprechender Ansatz zur Streitbeilegung. Höre ich also, was den anderen umtreibt, im Inneren bewegt, kann ich die dort vorhandenen und in der Regel viel wichtigeren Bedürfnisse erkennen, gegebenenfalls befriedigen und dann dauerhafte Lösungen finden. Also wirke ich darauf hin, dass die Nachricht möglichst klar und eindeutig formuliert wird und die Ohren des Empfängers offen sind für sämtliche der darin enthaltenen Botschaften. Da persönliche Annahmen und (Be-) Wertungen tunlichst vermieden werden sollten, hinterfrage ich gegebenenfalls die Botschaften und bitte um deren Erklärung. Damit fühlt sich der Nachrichtensender wiederum wahrgenommen, respektvoll behandelt und kann seinen Standpunkt überdenken und verändern. So entstehen zwar in der Regel keine Freundschaften, aber Lösungen mit hoher Akzeptanz von beiden Parteien.
Wenn ich das und noch einiges mehr in meine berufliche Praxis transferieren kann, werde ich künftig nicht einfach nur anwaltlicher Berater sein, sondern meinen Mandanten ein Coach mit der besonderen Befähigung zur Rechtsberatung.
Sind Sie bereit, gemeinsam neue Erkenntnisse über sich selbst freizulegen? Dann werden Sie Teil unserer nächsten Ausbildungsgruppe. Hier erfahren Sie mehr über die systemsich-interdisziplinäre Coaching-Ausbildung.
Oder melden Sie sich hier für einen unserer kostenlosen Info-Abende zur Coaching-Ausbildung mit Start im Juni 2023 an. Hier können Sie die Ausbildungsleitung, das Zentrum sowie Inhalte und didaktisches Konzept der Ausbildung besser kennenlernen.