Geistige Dimension

Embodiment, körperorientiertes Coaching und das Verraumen

Verraumen? Was, bitteschön, könnte denn das bedeuten? Nein, wir haben uns nicht verschrieben – das Wort wird tatsächlich gebraucht – und zwar von Lara Felisa Rubbel (sie zitiert hierbei übrigens Bear, U. & G. Frick-Bear (2008)). Lara ist Körper- und Bewegungstherapeutin und vor allem im systemischen körperorientierten Coaching tätig, mit einem starken Fokus auf den Embodiment-Ansatz, bei dem die Wechselwirkung zwischen Körper und Geist eine zentrale Rolle spielt. Lara geht mit uns auf eine 2-stündige Online-Reise zu den Möglichkeiten, die körperorientiertes Coaching im Raum und sogar im Online-Raum bietet.

Auch der Begriff „körperorientiertes Arbeiten“ im Coaching erscheint erst mal sehr ungewohnt und laut Lara „vielleicht ein bisschen verrückt“. Dabei geht es um folgendes: Körperorientiertes Coaching integriert, im Gegensatz zu rein kognitiven Ansätzen, den Körper als entscheidende Informationsquelle für emotionale und psychologische Aspekte in der Arbeit zwischen Coach und Coachee. Klienten werden dabei angeleitet, auf die Signale ihres Körpers zu hören, um wichtige Hinweise auf ihre Gefühle, Bedürfnisse und Stressmuster zu erhalten. Wahrnehmungs- und Achtsamkeitspraktiken sowie Atemarbeit und Körper-Scan-Techniken können diese ganzheitliche Betrachtung der Anliegen mit verschiedenen Methoden unterstützen, ebenso Bewegung, Tanz, Gesang oder andere körperliche Aktivitäten.

So liegt die Konzentration nicht nur auf den mentalen Prozessen des Coachee, sondern bezieht den Körper als wichtige Ressource für die Lösungsfindung oder den Umgang mit Blockaden ein.

Wir beschäftigen wir uns zuerst mit uns selbst und unserem Zugang zu unserem eigenen Körper. Durch eine kurze Körperwahrnehmungs-Übung veranschaulicht Lara uns, wie relevant es ist, zuerst einmal „anzukommen“ – bei sich selbst, im eigenen Raum.

Das Ziel dabei ist, selbst zu spüren, wie es ist, den Coachee für Veränderungen in seinem Körper zu sensibilisieren, und seien sie auch nur marginal, zum Beispiel durch Haltung oder Atem.

Denn diese Unterschiede können entscheidende Hinweise auf mögliche Lösungen geben. Und je lockerer der Körper, umso leichter wird der Zugang zu ihm. Zum Beispiel durch die Steuerung ihres Atems können auch Menschen ohne Vorkenntnisse wie zum Beispiel aus der Meditation, dennoch schnell Zugang zu ihrem Körper finden, wenn sie sich darauf einlassen. Erst mal auszuatmen kann, das wissen die meisten, den Umgang mit einer Stress-Situation, oft positiv verändern.

Was macht einen (Online-) Raum eigentlich aus und wie können wir ihn so gestalten, dass erfolgreiches Coaching gelingen kann?

Nach dem „Innenraum“ unseres Körpers beschäftigen wir uns nun mit dem äußeren, real physischen Raum, indem wir uns erzählen, wo wir uns jeweils genau aufhalten (zum Beispiel im Arbeitszimmer), ob wir uns wohlfühlen und warum (ist es warm genug?), ob wir „versorgt“ sind (zum Beispiel mit einer Tasse Tee). Da wir und gleichzeitig in einem virtuellen Raum, einer Online-Konferenz befinden, reichen wir uns zur Wort-Weitergabe jeweils virtuell einen Stift durch den Bildschirm und „übergeben“ ihn. Durch diese Art der Vorstellungsrunde können wir gleich mehrere Aspekte von guter Atmosphäre im Raum erfahren – und feststellen, dass vieles davon, was in der persönlichen Begegnung eine Rolle spielt, im virtuellen Raum genauso wichtig ist und teils ganz einfach, teils mit etwas Phantasie transferiert werden kann. Dies erarbeiten wir in sogenannten Breakout-Sessions, so befinden wir uns gleichzeitig sogar in verschiedenen virtuellen Räumen, dennoch in dem einen großen Online-“Konferenzraum“, in den wir nach einigen Minuten Brainstorming wieder zurückkehren, und waren doch jeder und jede die ganze Zeit auch im persönlichen realen Raum. Dass wir eigentlich weit weg voneinander waren, haben wir kaum bemerkt. Die wichtigsten Gründe fanden wir in folgenden Aspekten:

Koerperorientiertes Coaching im Online Raum
Körperorientiertes Coaching im Online-Raum

Beziehung und Gastlichkeit: Auch im Online Raum ist es wichtig, sich wohlzufühlen und Ruhe für die Zusammenkunft zu haben. In einem Großraumbüro wird sich ein Coachee sicherlich weniger öffnen als an einem geschützten Ort, an dem er die Tür zu machen und sich darauf verlassen kann, eine Weile ungestört zu bleiben. Der Coach kann ihn unterstützend fragen, ob er alles hat, um sich wohlfühlen, sei es ein Getränk, die eine warme Decke und eben die nötige Ruhe, um sich sicher und geborgen zu fühlen und geschützt vor äußeren Faktoren zu bleiben, solange das Coaching dauert. Dies gilt natürlich auch für den Coach.

Das Setting ist also ein entscheidender Faktor, um die individuellen Bedürfnisse derart zu gestalten, dass sich die Beteiligten in ihrem Raum und im Online-Raum wohlfühlen.

Nur so ist eine hinreichende Grundlage gegeben, sich ohne Ablenkung mit dem Coaching-Anliegen zu beschäftigen.

 

Eine weitere entscheidende Rolle spielt die Kommunikation. Online sind Interaktion und Kommunikationsdynamik eine andere als im realen Beieinander. Augenkontakt ist nicht möglich, nur eine Annäherung dessen. Auch deshalb sind Fragen und Feedback-Schleifen noch intensiver wahrzunehmen als im realen Raum, um immer wieder sicherzustellen, dass Äußerungen richtig verstanden werden und um auszugleichen, dass die feinen Wahrnehmungen von Mimik und Gestik online schwerer oder teils gar nicht zu sehen, geschweige denn zu spüren sind. Auch wenn der Empathie-Faktor hoch ist, ist es online einfach schwieriger, sich auf seine Intuition zu verlassen.

Sicherheit und Setting haben auch einen technischen Aspekt, von der Wahl des Medienanbieters, dem beide vertrauen sollten, und bei dem z.B. alle ausgetauschten Daten geschützt bleiben, über funktionierende Geräte, inklusive Kamera und Lautsprecher bis hin zu einem „Plan B“ und einem gemeinsamen Verständnis darüber, wie man weiter kommuniziert, sollte die Technik unterbrochen werden oder gar ausfallen. Über kleine Übungen wie der zuvor beschriebenen und ausprobierten können gerade Coachees, die aus Stress-Situationen kommen, mit einer guten Chance schneller von vorigen Büro-Situationen Abstand gewinnen und im Coaching ankommen. Mehr Pausen als sonst und etwas (gegebenenfalls gemeinsame) Bewegung können zudem helfen, die Online-Situation insgesamt fokussierter und lebendiger zu gestalten.

Verraumen

Nun also zum Begriff des Verraumens, der allen Teilnehmern noch sehr abstrakt erscheint. Der Raum spielt jedoch eine entscheidende und grundlegende Rolle in allen verschiedenen therapeutischen und Schulen. Alle Themen, die in Coachings behandelt werden, haben in irgendeiner Form mit Raum zu tun. Denn der Körper befindet sich immer in einem Raum und wie wir gesehen haben, manchmal sogar in mehreren gleichzeitig.

Verraumen
Verraumen

Eine weitere wichtige Grundlage für die Theorie des Verraumens ist die zentrale Annahme der immerwährenden Wechselwirkung aus dem Embodiment-Ansatz. Körper und Geist wirken demnach permanent aufeinander ein und sind untrennbar miteinander verbunden. Und es gibt noch eine dritte Dimension, die auf uns Menschen einwirkt, erklärt uns Lara. Nämlich die Umwelt, sei es die physische Umwelt oder ein soziales Umfeld, in dem wir uns bewegen.

Geistige Dimension
Geistige Dimension
Es geht also immer um Körper, Geist UND Umwelt, in diesem Dreiergespann bewegen wir uns permanent. So wird es auch in der systemischen Theorie und in den Grundlagen zur Logotherapie (vgl. Grafik) ausgeführt. Wie zuvor besprochen und erfahren kommt dann noch unser Körperinnenraum hinzu. Wir sehen: Unser Erleben geht immer über den Körper. Dieser ist immer in einem Raum und wir bewegen uns immer in der dynamischen Wechselwirkung zwischen biologischen, psychischen und sozialen Aspekten.

Empfindungen zum Raum im Innen und Außen sind dabei sehr individuell. Ein gutes Beispiel stellt die sogenannte Wohlfühl-Distanz dar, bei der körperliche Nähe von Dritten individuell unterschiedlich bewertet wird. Die Sensibilität für den eigenen und den Körperraum anderer spielt eine entscheidende Rolle in sozialen Interaktionen und kann bei Dissonanzen zu Konflikten führen. Solche Situationen durch Symbole oder andere Hilfsmittel im gedanklichen imaginären oder wirklichen Raum abzubilden und damit die eigenen Räume und dazugehörenden Bedürfnisse zu „verraumen“ kann eine hilfreiche Methode sein, um über den Körper im Raum neu zu erfahren und in sich als Coachee anders als gewohnt hineinzuspüren.

Mit der Schritte-Methode, einer Art Phantasiereise in ein gedankliches „vor“ und „zurück“ zu einem Thema bietet Lara uns zum Abschluss noch Gelegenheit, über ein individuelles Anliegen in uns hineinzuspüren.

All dies hat uns gezeigt, dass körperorientiertes Coaching im physischen wie im Online-Raum die eigene Coaching-Praxis und die Anliegen-Klärung für den Coachee bereichern kann, wenn dieser bereit ist, sich auf seinen Körper einzulassen und zu lernen ihm „zuzuhören“. Dieser Zugang ist zwar nicht für jeden das richtige, ob Coach oder Coachee – spannend zu kennen ist diese Perspektive ganz im Sinne der vielfältigen und interdisziplinären Ausbildung aber für alle.

 

Vielen Dank, liebe Lara, für das Teilhaben-Lassen an deiner persönlichen Praxis!

Literaturempfehlungen:

Bear, U. & G. Frick-Bear (2008): Leibbewegungen, Herzkreise und der Tanz der Würde: Methoden und Modelle der Tanz- und Bewegungstherapie. Neukirchen-Vluyn: Affenkönig-Verlag, S. 256-330.

 

Hausmann, B. & R. Neddermeyer (2011): BewegtSein: Integrative Bewegungs- und Leibtherapie: Erlebnisaktivierung und Persönlichkeitsentwicklung. Wiesbaden: Reichert Verlag, S. 90 ff.

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