Gedankenfluss

Gedanken ziehen lassen, anstatt sich von ihnen runterziehen lassen

Monika Zimmermann spricht mit Dr. Bernd Schumacher über das Gedankenflussmodell

Oft sind es die Konzepte, die auf den ersten Blick am einfachsten erscheinen, die am schwersten zu begreifen, in Worte zu fassen und zu vermitteln sind. Dieses Dilemma spürten Dr. Bernd Schumacher und Prof. Dr. Monika Zimmermann in einem Gespräch über das sogenannte Gedankenflussmodell. Dieses simple anmutende Modell veranschaulicht den Umgang einer Person mit den eigenen Gedanken, sowohl den angestrebten Zustand, wo Gedanken wie ein Fluss vorbeiziehen, als auch die hinderliche Tendenz sich an den eigenen Gedanken festzubeißen und so im Gedankenstrudel zu ertrinken.

Übrigens eine kompakte Erläuterung dieses Konzepts publizierten beide im Coaching-Magazin.

Da dieses Modell sowohl in der Coaching-Praxis als auch der Coaching-Ausbildung von Monika Zimmermann eine signifikante Rolle spielt, hat sie Bernd Schumacher zu Rate gezogen, um dem Modell auf den Grund zu gehen. Denn dieses Modell ist Teil der systemischen Ausbildung bei Bernd Schumacher. Im Gespräch versuchten die beiden, das Modell und dessen konzeptionellen Grundlagen nun angehenden Coachs sowie deren Klienten zugänglich zu machen.

Zu Beginn verwies Bernd Schumacher darauf, dass die grundlegende Idee des Modells seinen Ursprung im Buddhismus findet und somit schon nahezu 2.500 Jahre alt ist:

„Diese Idee ist, dass es zwei Ebenen des Denkens gibt. Zunächst gibt es das, was wir denken und dann das, was wir über unser Denken denken. Das entspricht der klassischen Unterscheidung zwischen Inhalt und Form. Der Inhalt ist das, was wir denken. Die Form ist immer die Beziehung, meine Beziehung zu mir, meine Beziehung zu meinen Gedanken oder meine Gedanken über meine Gedanken.“

Er erklärt, dass diese Unterscheidung auch in der europäischen Ideengeschichte immer wieder aufgegriffen und erweitert wurde. Das Gedankenflussmodell ist eine Kurzfassung dieser komplexen Idee. Es bildet die verschiedenen Möglichkeiten zum Umgang mit den eigenen Gedanken ab und kann so dazu anregen, diesen Prozess bei sich selbst zu beobachten und zu reflektieren:

„Nehme ich meine Gedanken zu ernst? Verwechsele ich mich mit meinen Gedanken? Behandele ich meine Gedanken als wären sie nicht Teil von mir selbst?
Wie geht es mir mit mir, wenn ich so mit meinen Gedanken umgehe?

Ziel ist einen Zustand zu erreichen, in welchem man die eigenen Gedanken einfach fließen lassen kann, ohne zu versuchen etwas Bestimmtes zu denken oder nicht zu denken. Hier knüpft Bernd Schumacher an eine Idee aus einem vorherigen Interview mit Monika Zimmermann an: Man kann Zustände wie Akzeptanz oder Gelassenheit nicht spontan herstellen und umgekehrt kann man so etwas wie Angst nicht gezielt zum Verschwinden bringen. Ebenso ist es unmöglich bestimmte Gedanken gewollt zu denken oder eben nicht zu denken. Das liegt daran, dass solche Versuche immer mit Kontrolle verbunden sind:

„Das Problem ist nicht, dass die Leute das versuchen, sondern dass sie auf der übergeordneten Ebene kontrollieren müssen, ob es funktioniert. In dem Moment, wo sie kontrollieren, ob es funktioniert, funktioniert es nicht mehr.“

Dr. Bernd Schumacher
Dr. Bernd Schumacher

Am eindrücklichsten wird dieses Prinzip anhand eines Beispiels:
Ich versuche jetzt mal nicht an hellblaue Elefanten zu denken. Was passiert? Ich denke an hellblaue Elefanten, weil aktive Negation nicht funktioniert. Jetzt kann ich versuchen, an lila Schweine zu denken, damit ich nicht an hellblaue Elefanten denken muss. Das ist alles okay. Es kann auch funktionieren, solange ich nicht überprüfe, ob es funktioniert. In dem Moment, wo ich überprüfe, ob es funktioniert, funktioniert es nicht mehr.

Eigene Grafik: Elefant und Schwein
Eigene Grafik: Elefant und Schwein

Laut Bernd Schumacher ist es dieser Kreislauf, bestehend aus dem Versuch etwas herzustellen oder zum Verschwinden zu bringen, und der ständigen Kontrolle, darüber ob es funktioniert hat, der bei manchen Menschen zu einem Gedankenstrudel wird. In so einem Strudel kreisen sie manchmal Jahrzehnte lang um dasselbe Thema und behalten dabei auch dieselbe Form des Denkens bei.

Genau auf dieser Formebene muss angesetzt werden, um aus dem Gedankenstrudel rauszukommen:

„Es geht nicht darum, das Denken zu ändern, sondern den Umgang mit dem Denken zu ändern.“

Bernd Schumacher warnt, dass auch das nicht einfach ist und Arbeit, nicht im Sinne von etwas aktiv herstellen oder zum Verschwinden bringen, sondern in Form von ständiger Beobachtung, erfordert.

Mit der Frage, wie genau dieser Prozess aussieht und wie ein Coach seinem oder seiner Klient*in dabei helfen kann, beschäftigen sich Monika Zimmermann und Bernd Schumacher im Gespräch ausführlich. Eine definitive Antwort oder Anleitung gibt es jedoch nicht, stattdessen ist sie für jede Person, teilweise sogar für jede Situation, verschieden.

Wichtig ist zu verstehen, dass jeder Mensch die Fähigkeit, Gedanken einfach fließen zu lassen, schon beherrscht. In vielen Kontexten und bezüglich der meisten Themen ist jeder im Stande das zu tun. Der Gedankenstrudel dreht sich zumeist nur um ein einzelnes Thema. Das Gedankenflussmodell kann im (Selbst-)Coaching als ein Impuls eingesetzt werden, der dazu anregt „den Umgang mit den eigenen Gedanken auf eine bestimmte Art und Weise wieder zu trainieren oder auch eine Einladung, den Fokus der Aufmerksamkeit darauf zu richten, dass sie natürlich alle dieses Modell beherrschen, ohne zu wissen, dass sie es beherrschen.“

Prof. Dr. Monika Zimmermann
Prof. Dr. Monika Zimmermann

In seiner bildlichen Darstellung der beiden Arten mit den eigenen Gedanken umzugehen, dient es als eine Form von Psychoedukation: Dem oder der Klient*in werden die Hintergründe des Modells erklärt und das hilft dabei das eigene Verhalten zu verstehen. Diese Sensibilisierung dient als erster Schritt, um dem Gedankenstrudel zu entweichen oder ihn ganz aufzulösen.

Dieses Ziel, seine Gedanken einfach ziehen lassen zu können, vergleicht Bernd Schumacher mit einem Schwebezustand, einen Zustand der „gesunden Gleichgültigkeit“ oder auch „absichtsvolle Absichtslosigkeit“. Der Weg dorthin sieht für jeden unterschiedlich aus und so empfiehlt er Coachs, dass sie ihren Klient*innen verschiedene Methoden und Lösungsansätze anbietet, bis einer davon hilfreich ist:

„Ich nenne das Versuchsballons. Ich lasse Versuchsballons steigen und dann gucke ich, wie die Leute drauf reagieren. Mehr ist es nicht.“

Eigene Grafik: Luftballons
Eigene Grafik: Luftballons
Zusammenfassen lässt sich das Gedankenflussmodell also folgendermaßen:

Der Fluss symbolisiert meine Gedanken, in denen ein Strudel entsteht, weil ich mich mit meinen Gedanken im Kreis drehe. Der Gedankenstrudel kann hinter einer Barriere entstehen (so wie in einem richtigen Fluss hinter Steinen ein kleiner Strudel entsteht, wenn das Wasser darum fließt). Die Barriere symbolisiert bestimmte Gedanken:

Ich muss!
Ich darf nicht!

Dadurch entstehen diverse Kontroll- und Verhinderungsgedanken.

Gedankenfluss
Gedankenfluss
Die beiden Personen in der Abbildung symbolisieren zwei verschiedene Positionen, Standpunkte, die ich einnehmen kann:
  • entweder bin ich mitten im (Gedanken-)Fluss und verwechsle mich mit meinen Gedanken
  • oder ich stehe neben dem Fluss und schaue auf meine Gedanken (Meta-Ebene, Bewusst-Werdung), indem ich denke “es denkt mal wieder”, gewinne ich hilfreiche Distanz zu meinen eigenen Gedanken und kann die Gedanken vorbeifließen lassen, mich selbst beim Denken beobachten und dann habe ich auch die Möglichkeit in den Fluss hereinzuspringen und mir einen Goldnugget (einen hilfreichen Gedanken, eine gute Idee) herauszuholen, wenn ich das möchte, also meine Distanziertheit temporär zielorientiert aufzugeben.

Mithilfe des Modells gelingt der erste mentale Schritt dazu, was hilfreich ist im Umgang mit Ängsten und anderen anstrengenden Gedanken und Gefühlen. Die Beschäftigung mit diesem „Bild“ kann der Beginn von einer Art von Achtsamkeitstraining sein, das das Bewusstsein und die inneren Beobachter schult.

Vielen Dank an Bernd Schumacher für dieses hilfreiche Gespräch, dank dem ein abstraktes Konzept in verständliche Worte und Bilder gefasst werden konnte. Gemeinsam und mit Hilfe von Alexandra Cornelius, (Systemische Coach, Supervisorin, Therapeutin) haben Dr. Bernd Schumacher und Prof. Dr. Monika Zimmermann das Modell Gedankenfluss sowie die im Gespräch gewonnen Erkenntnisse und Formulierung in einen Fachartikel für das Coaching-Magazin zusammengefasst.

Alexandra Cornelius
Alexandra Cornelius
Coaching-Magazin
Dr. Bernd Schumacher, Prof. Dr. Monika Zimmermann, Alexandra Cornelius "Coaching mit dem Gedankenflussmodell - Was haben jahrtausendealte Meditationstechniken und dieses Modell gemeinsam?" Coaching-Magazin Online, 09.01.2024

Ein weiteres spannendes Interview mit Bernd Schumacher können Sie hier lesen: Von Holzwegen und Gehwegen (Interview, Systemische Beratung / 31. März 2022)

Interview Holz- und Gehwege
Interview Holz- und Gehwege

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