Schon mehrfach wurde in verschiedenen Gruppen und Kontexten festgestellt: Coaching bleibt Coaching, egal ob face to face, virtuell oder blended, also mit beiden Anteilen im Wechsel. Nichtsdestotrotz gibt es Entwicklungen und Wirkfaktoren, auf die gerade im digitalen Medium mehr Augenmerk gelegt werden sollte, zum Beispiel eine deutlich verstärkte Rückfrage-Schleife, um die Kommunikation auch ohne die direkt gefühlte „Wellenlänge“ im selben analogen Raum bestmöglich zu gestalten.
KI im Coaching
Zudem gibt es immer mehr Plattformen und Tools, die die Möglichkeiten der modernen User Experience nutzen, in 2D und 3D, mit Symbolen und Avataren im virtuellen Raum, wird diese mittlerweile sogar durch Künstliche Intelligenz ergänzt. Prof. Dr. Harald Geißler hat uns Einblick in seine Arbeit in Modul 3 der Ausbildungsgruppe CA3 gewährt.
Die Wichtigkeit, auch im Online-Coaching zirkulär zu arbeiten, also immer wieder zu überprüfen, ob und wenn ja welche Interventionen Veränderung im Anliegen bewirken, transferiert er in seiner Arbeit in ein Tool, das mit 3D-Figuren im virtuellen Raum Aufstellungsarbeit möglich macht, fast wie ein Videospiel anmutet und manche*n Coachee vielleicht stärker dazu bringen kann, sich emotional zu öffnen als in persona. Die Schaffung immersiver Umgebungen mit bildlichen und textlichen Anregungen lässt dabei unterschiedliche Szenarien erleben, wodurch realistische Reaktionen reflektiert werden können. Dies kann die traditionellen Grenzen von Coaching erweitern und eine intensive Erfahrung ermöglichen. Dabei nutzt Prof. Dr. Harald Geißler die KI als „Sparringspartner“: Durch die Analyse großer Datenmengen kann z.B. ChatGPT Empfehlungen für den Coaching-Prozess liefern.
Die KI eröffnet ohne Zweifel neue Dimensionen – wo genau sie wirklich sinnvoll für die praktische Coaching-Arbeit ist, bleibt eine individuelle Entscheidung von Coach und Coachee. Bislang kann sie jedoch den eigentlichen Coaching-Prozess jedenfalls (noch) nicht ersetzen.
Der Coach ist und bleibt laut Monika Zimmermann darin nämlich das wichtigste Wirkmedium. Die Wirkfaktoren für gutes Coaching bleiben immer gleich. Es gibt lediglich die Herausforderung, im virtuellen Raum noch intensiver auf Dinge zu achten, die sich live anders darstellen, möglicherweise leichter zu erspüren und zu erkennen sind, wie Mimik, Gestik, Stimme oder Körperspannung. Mehr Meta-Kommunikation und Rituale für die Beziehungsgestaltung, miteinander abgestimmte Regeln, gemeinsame Bewegung oder auch das Aushalten von Schweigen – wie „in echt“ ist alles richtig, was den WEK-Ruf und das gemeinsame Eintauchen in das Anliegen bereichert und wodurch der Coachee wirklich gesehen und gehört wird – vorausgesetzt die Technik funktioniert.
Hier geht es zum Beitrag von Prof. Dr. Geißler zum Triadischen KI-Coaching.
Coaching-Prozess
Zum Coaching – ob online oder real, gehört zudem nicht nur die eigentliche Sitzung, sondern auch die Vor- und Nachbereitung, also der gesamte Coaching-Prozess. Wie können wir diesen professionell planen, gestalten, durchführen und zum Ende hin auch abschließen? Jede*r Coach muss individuell festlegen, welche Aspekte in der Zusammenarbeit mit Coachees und im Rahmen des eigenen Coaching-Konzepts wichtig sind und welche Voraussetzungen erfüllt sein sollen, um überhaupt zusammenzuarbeiten.
Das COACH Modell nach Rauen (Christopher Rauen & Andreas Steinhübel, COACH-Modell – Strukturmodell des Coachings, veröffentlicht bei der Christopher Rauen GmbH) ist ein Beispiel für die Prozessgestaltung, um eine strukturierte Herangehensweise und eine effektive Zusammenarbeit zwischen Coach und Klient*in zu gewährleisten.
Demnach besteht der Prozess aus fünf Phasen:
C: Come together (Kontakt)
O: Orientation (Inhaltliche Orientierung)
A: Analysis (Handlung planen)
C: Change (Veränderung)
H: Harbour (Reflexion und Abschluss)
Egal, ob mit diesem oder einem anderen Coaching-Prozess-Modell – wer alle relevanten Aspekte durchdenkt und danach handelt, vermeidet das Scheitern der Zusammenarbeit, z.B. durch einen zu sorglosen Umgang mit der Auftragsklärung oder unzureichende Abstimmungen und Feedbackschleifen während des Prozesses.
Und Achtung: Anliegen und Auftrag sind nicht dasselbe!
Das Anliegen meint die Fragestellung, die der Coachee mitbringt, der Auftrag hingegen die Vereinbarung, die bezüglich Personen, Inhalten, Zielen, zeitlichem Umfang und der Kosten getroffen wird. Der Auftrag steht erst am Ende des Aushandelns all dieser Faktoren und wird im Vertrag festgehalten.
Auch die Vertragsgestaltung gehört daher als wichtiger Baustein zum Coaching-Prozess. Rechtsanwalt Tobias Jaeger erklärt, wie unser Leistungsversprechen und unser Bemühen, mit dem Klienten ein Ziel zu erreichen, korrekt gestaltet wird und welche Inhalte und Vertragsbestandteile von Widerrufsbelehrung bis Datenschutz absolut notwendig sind.
Übrigens stehen auch Musterverträge und Musterrechnungen sowie viele andere Vorlagen aus dem Zentrum den Teilnehmenden dieser Ausbildung kostenfrei zur Verfügung, so dass sie für den eigenen Einsatz einfach angepasst werden können. Bestenfalls kommt der Vertrag zwar nach der Zusammenarbeit nicht mehr zum Vorschein, das passiert aber genau dann, wenn es Uneinigkeit über den Gegenstand oder die Modalitäten des Coachings gab. Also ist es wichtig, diese Bindung so kurz und wesentlich wie möglich vertraglich zu regeln.
Vom Erstgespräch bis zur Evaluation gilt es also wesentlich mehr zu beachten als die Planung der eigentlichen Kernsitzung. Das sollte jedem Coach bewusst sein und muss in das individuelle Coaching- Konzept einfließen. Zu Evaluation von Coaching und zum Datenschutz gibt es übrigens auch in dieser Kolumne weiteren Input.
Neben einer äußerst bereichernden Einführung in die Introvision von Ulrich Dehner, der wir eine eigene Kolumne widmen werden, hat sich die Gruppe zum Abschluss dieses Lehr-/Lern-Moduls noch mit der Positiven Psychologie auseinandergesetzt:
Positive Psychologie – bitte ohne rosarote Brille
Monika Zimmermann räumt in ihrer Einführung in die Positive Psychologie mit dem Missverständnis der vermeintlichen „rosaroten Brille“ auf. In diesem Ansatz geht es nämlich – zumindest in den Ursprüngen des Ansatzes – überhaupt nicht darum, alles nur positiv zu sehen, wie es manchmal zu stark verkürzt dargestellt wird. Vielmehr geht es um die “Suche nach dem Guten durch die Kraft des Verstandes“ und um die Entwicklung eines gesunden und positiven Selbstkonzepts. Denn dann ist es möglich, eine analytische Kompetenz zu entwickeln, bei der der Fokus auf den eigenen „signature strengths“ liegt, sich also dem zuzuwenden, was der „fully functioning person“ nach Rogers entspricht.“ nach Rogers entspricht.
„Ein Mensch wird erlernt hilflos, wenn er wiederholt die Erfahrung macht, eine Situation durch eigenes Handeln nicht beeinflussen und verändern zu können.“ (vgl. Seligman, M. E. P., 1999, S. 8)
Kerngrundlage der positiven Psychologie ist das Konzept der Erlernten Hilflosigkeit von Martin Seligman. Die Überwindung erlernter negativer Muster kann durch den Aufbau positiver Erklärungsmuster erfolgen und dazu beitragen, wieder in die Handlungsfähigkeit zu kommen. Dafür muss eine Person jedoch Gelegenheit haben, positive Erfahrungen wieder als Erfolg des eigenen Handelns wahrzunehmen und zu erkennen. Realitätsnaher Optimismus kann wiederentdeckt werden, wenn Blockaden aus früheren negativen Erfahrungen als sogenannte ABC-Ketten identifiziert und modifiziert werden, so dass die gleiche Situation fortan mit einer anderen Bewertung und anderen damit einhergehenden Gefühlen attribuiert werden kann.
Diese „Wissenschaft eines gelingenden Lebens“ (vgl. Blickhan, D., 2021, S 18) erlaubt den Blick nach vorne unter Würdigung der Vergangenheit. Weiterer Lesetipp für Einsteiger ins Thema: „Pessimisten küsst man nicht“ von Martin Seligman (1999).
Die Kraft des Perspektivenwechsels
Die Vielseitigkeit und Breite des Wissens, der unterschiedlichen Schulen, Ansätze und Perspektiven erlaubt es uns, immer mehr Überschneidungen und Unterschiede zu entdecken und zu diskutieren. Unsere interdisziplinäre Ausbildung macht es den angehenden Coaches möglich, diese so zu kombinieren, dass sie sich mit ihrem eigenen Coaching-Verständnis an die jeweiligen Bedürfnisse der Klient*innen anpassen und sie mit ihrem individuellen Stil begleiten können. Zudem erlaubt uns ein solcher Perspektiven-Reichtum, nicht nur auf isolierte Probleme zu fokussieren, sondern den Blick zu weiten und mögliche relevante Zusammenhänge zwischen verschiedenen Lebensbereichen zu erkennen (mehr zur Multiperspektivität gibt es hier).