Marmeladenglas

Marmeladenglas-Momente – wie das Konservieren von positiven Erfahrungen und Erkenntnissen (Aha-Momenten) zu mehr Lebensfreude, Wachstum und Weisheit führt

Wie kann uns ein leeres Marmeladenglas zu mehr Lebensfreude verhelfen?

Unser Gehirn ist so konstruiert, dass wir uns an stressbesetzte Situationen besser erinnern als an positive Erfahrungen (Bierbrauer et al. 2021). Eine einfache Methode kann uns dabei helfen, auch die kleinen und großen Freuden und Erkenntnisse im Leben wieder stärker in unser Gedächtnis zu rufen: Das Aufschreiben oder Aufmalen schöner Momente und Aha-Erlebnisse, die für uns selbst bedeutsam waren/sind, und das Sammeln dieser in bspw. einem Marmeladenglas kann zu einer positiven, konstruktiven Sicht auf unser Leben und damit zu mehr Lebensfreude und Dankbarkeit führen. Bei der Gestaltung solcher „Marmeladenglas-Momente“ sind der Kreativität keine Grenzen gesetzt (als positiven Nebeneffekt kann sich dabei also auch noch ein Flow-Erleben im kreativen Schaffensprozess einstellen). Auf diese Weise können wir uns selbst oder unseren Lieben ein wohltuendes Osterei legen, das einen nachhaltigen Nutzen auf unser Wohlbefinden haben kann.

Evolutionsbedingt prägen sich bei uns Menschen negative, potenziell gefährliche Erlebnisse wahrscheinlicher ein als positive Erfahrungen und Erkenntnisse (diese sind oft eher flüchtig und dürfen auch konserviert werden 😊). Das Aufschreiben oder Aufmalen der positiven Ereignisse und Erkenntnisse hilft dabei, die Sicht auf das eigene Leben realitätsnah und konstruktiv zu gestalten und so insgesamt mehr Handlungsfähigkeit, Lebensfreude und Dankbarkeit zu ermöglichen.

Anleitung zur Umsetzung der Methode „Marmeladenglas-Momente“

Was brauchen Sie dazu?

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Gestaltung der Marmeladengläser
  • Muße
  • Marmeladenglas
  • Konzentration
  • Acrylfarben
  • Pinsel
  • Den Willen zum Konservieren kraftvoller positiver Impulse, wie z.B. persönlich bedeutsamer Aha-Momente oder Momente des situativen Glücksempfindens
  • Wasserbecher
  • Zettelchen
  • Mindestens eine*n Gleichgesinnte*n zum Austausch in Resonanz
  • Das Einplanen des Konsums dieser Konserve nach einem Jahr oder bei Bedarf
Schritt-für-Schritt-Anleitung:
  1. Um am Ende ein schönes Behältnis für die Marmeladenglas-Momente zu haben, geht es als Erstes ans Bemalen: Da alle Zettel, die Sie über das Jahr sammeln, Ihr großes Feuerwerk an stärkenden Momenten ergeben, heißt es: Feuerwerk malen! Das Feuerwerk ist ein Symbol der Schönheit und Vergänglichkeit. Sie können Ihrer Kreativität freien Lauf lassen und Ihr schönstes Feuerwerk auf das Glas malen: Welche Farben hat Ihr Feuerwerk? Welche Wörter stehen im Feuerwerk?
  2. Wenn Ihr Glas fertig bemalt ist, können Sie sich schonmal überlegen, welche Momente Sie gerne in diesem Glas drin haben möchten. Als Marmeladenglas-Momente eignen sich alle Momente, Erlebnisse, Erfahrungen, Gefühle, Erkenntnisse, Hürden, Erfolge, die man nicht ausreichend feiert und im Alltag schnell wieder vergisst.
  3. Auch Momente von diesem Wochenende oder aus Ihrem Alltag können Sie aufschreiben und in Ihr Glas werfen, damit sie darin gesammelt werden.
  4. Wenn Sie Lust haben, können Sie sich Zeit nehmen, um Ihre Wünsche oder Dinge, die Sie erreichen möchten, aufzuschreiben und ins Glas zu schmeißen.
  5. In den kommenden Monaten können Sie viele kleine Zettelchen sammeln und Ihren Gedanken, Erfolgen und allem anderen einen Raum geben. Setzen Sie sich ab und zu hin und schreiben Sie ein paar neue Zettelchen!
  6. In schweren Momenten können Sie jederzeit das Glas aufmachen und lesen, was Sie schon alles erlebt und geschafft haben!
  7. Am Ende des Jahres haben Sie einiges erreicht und Ihr Marmeladenglas ist hoffentlich voll mit Momenten, an die Sie erinnert werden, wenn Sie das Glas mal öffnen. Dann entfaltet sich das (an sich vergängliche) Feuerwerk der guten Gefühle, Erlebnisse, Gedanken auf’s Neue.
Osterblumenstrauß
Osterblumenstrauß

Welchen Effekt haben Interventionen zur Steigerung des Glücklichseins? – Ein Blick in die Forschung der Positiven Psychologie

Die im Folgenden skizzierte Intervention von Seligman et al. (entnommen aus Zimmermann 2011, S. 97ff.) hat zum Ergebnis: Glück lässt sich tatsächlich „erarbeiten“ – dieser Effekt kann sogar über einen langen Zeitraum anhalten (vgl. Seligman et al. 2005). Die Wirkung dieser Intervention wurde über die Messung von Glück und Depression validiert.

Seligman et al. beschreiben die Entwicklung und die Evaluation von Interventionen, die das individuelle Glücklichsein steigern, als die Quintessenz („bottom line“) der Positiven Psychologie (Seligman et al. 2005, 413). Im Artikel „Positive Psychology Progress – Empirical Validation of Interventions“ (2005) stellen die Autor*innen eine Auswahl ihrer Interventionen und deren Auswertungen vor. Der Grad der Depression und des Glücklichseins der Proband*innen wurde mittels internetbasiertem Verfahren unter Einsatz von Instrumenten zur Messung von Depression sowie zum Testen von Glücklichsein (Seligman et al. 2005, 414) erhoben. Grundlage der Untersuchung waren fünf Interventionen zur Steigerung des Glücklichseins und eine Placebo-Aufgabe. Der Grad der Depression und des Glücklichseins der Proband*innen wurde an fünf weiteren Zeitpunkten gemessen: direkt nach der Intervention, eine Woche später, einen Monat später, nach drei Monaten und abschließend nach sechs Monaten.

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Konservieren von Marmeladenglas-Momenten

Von den getesteten Interventionen zeigte die Übung „Drei gute Dinge im Leben“ die nachhaltigste Wirkung in Bezug auf die Steigerung des Glücklichseins und die Reduzierung von Depression. Bei dieser Übung waren die Proband*innen angehalten, eine Woche lang jeden Abend drei gute Dinge aufzuschreiben, die ihnen an diesem Tag widerfahren sind. Zusätzlich sollten sie für die drei Dinge jeweils eine kausale Erklärung finden. Auch nach drei und sechs Monaten war hier noch ein starker positiver Effekt auf den Grad der Depression und des Glücklichseins festzustellen (Seligman et al. 2005, 416ff).

Diese Ergebnisse lassen die begründete Hypothese zu, dass das Praktizieren von Stärkenorientierung und Optimismus als dritter Faktor neben Begabung und Motivation direkte Auswirkungen auf das Glücksempfinden hat. Nach Seligman (2001, 26f.) ist die traditionelle Auffassung von Leistung wie die traditionelle Auffassung von Depression korrekturbedürftig: „Unsere Arbeitsstätten und unsere Schulen arbeiten mit der konventionellen Annahme, dass Erfolg das Ergebnis einer Mischung von Begabung und Motivation ist. Fehlschläge sind entweder auf einen Mangel an Begabung oder auf fehlende Motivation zurückzuführen. Aber zu Fehlschlägen kann es auch dann kommen, wenn Begabung und Motivation im Überfluß vorhanden sind, der Optimismus jedoch fehlt.“ Die traditionelle Auffassung von den Indikatoren für Kompetenzentwicklung muss nach Seligman (2001, 28ff.) um einen dritten Faktor ergänzt werden: Optimismus und Pessimismus, die ebenso viel Einfluss haben wie Begabung und Motivation. Er geht davon aus, dass Optimismus eine erlernbare Fähigkeit ist, die sich auf Dauer erwerben lässt.

Marmeladenglas-Intervention im Coaching-Setting

Auch bei der Professionalisierung als Coach kann die Methode „Marmeladenglas-Momente“ unterstützen: Sie kann dabei helfen, sich an die eigenen Ressourcen, Erfolgserlebnisse und Erkenntnisse (die persönlich Bedeutsamen) zu erinnern und damit zur Stärkung eines positiven professionellen Selbstkonzeptes beitragen. Die eigenen „Marmeladenglas-Momente“ kann sich der*die Coach bspw. in herausfordernden Situationen im Rahmen eines Prozesses, sich selbst aktiv zuzuhören (dieser Beitrag führt den Aspekt der Introvision, der systematischen Innenschau, näher aus) wieder vor Augen führen und dann nutzen, um sich für die Situation gestärkt zu fühlen und vorhandene Ängste abzubauen.

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Sich selbst aktiv zuhören

Im Coaching kann die Methode angewandt werden, um dem*der Coachee private oder berufliche Erfolgsmomente vor Augen zu führen und dadurch seine*ihre Selbstwirksamkeit zu fördern. Die Marmeladenglas-Intervention kann auch im Gruppen- oder Team-Coaching Anwendung finden, um an positive gemeinsame Erlebnisse und Meilensteine zu erinnern.

Antje Heuser und Ralf Gasche haben die Anwendung der Methode im Coaching-Setting in einem Beitrag des Coaching-Magazins ausführlich beschrieben: Hier heißt sie treffend „Glass of Success“. Das zeigt mal wieder: Wir schätzen Ähnliches! Und ganz im Sinne der Multiperspektivität können sich interessierte Leser*innen der Methode nun aus verschiedenen Perspektiven nähern.

Literatur:

  • Bierbrauer, A., Fellner, M.-C., Heinen, R., Wolf, O. T. & Axmacher, N. (2021). The memory trace of a stressful episode. Current Biology 31, 5204-5213.e8.
  • Seligman, M. E. P. (2001). Pessimisten küsst man nicht: Optimismus kann man lernen. München: Droemer Knaur.  
  • Seligman, M., Steen, T., Park, N. & Peterson, C. (2005). Positive Psychology Progress: Empirical Validation of Interventions. The American psychologist. 60. 410-21. 10.1037/0003-066X.60.5.410.
  • Zimmermann, M. (2011). Naturwissenschaftliche Bildung im Kindergarten: Eine integrative Längsschnittstudie zur Kompetenzentwicklung von Erzieherinnen. Studien zum Physik- und Chemielernen (Bd. 128). Berlin: Logos. ISBN 978-3-8325-3053-2. http://www.logos-verlag.de/cgi-bin/buch/isbn/3053g

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