Elefantengleichnis

Von Philosophieren, Begleiten und Coachen

Matthias Ohler und Monika Zimmermann im Gespräch

Für eine Folge des neuen Podcasts „Zum Wachstum inspirieren“begleitend zum gleichnamigen Herausgeberband, welcher im März 2024 erschienen ist – sprach Prof. Dr. Monika Zimmermann mit Matthias Ohler. Als Geschäftsleiter des Carl-Auer Verlags begleitete er nicht nur das Buchprojekt von Beginn an mit, sondern trägt durch ein eigenes Kapitel auch inhaltlich bei. Seine genuin interdisziplinäre Perspektive, genährt von einem geisteswissenschaftlichen Studium und diversen Berufserfahrungen, sowie seine persönlichen Einblicke in und Einstellungen zu Coaching zeigen sich lebhaft im Gespräch.

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Und hier sind einige der für uns eindrücklichsten Passagen aus dem Gespräch:

Moni: Ich will kurz den Elefanten ins Bild und ins Gespräch bringen. Das berühmte Elefantengleichnis bildet die erkenntnistheoretische Orientierung für das ganze Buch und dient als roter Faden. Es geht in diesem Gleichnis um die Unterschiede, die bei des Sehens nicht mächtigen Beobachtenden entstehen, wenn sie unterschiedliche Körperteile eines Elefanten betasten und dabei über ihre unterschiedlichen Wahrnehmungen ins Streiten geraten. Welche Bedeutung hat dieses Elefantengleichnis für dich?

Matthias: Es ist ein altes und viel zitiertes Gleichnis. Das spricht dafür, dass es eindeutig etwas trifft. In meinem Beitrag bin ich kurz darauf eingegangen, dass es im Bereich von Beratung und Coaching wichtig ist, sich immer wieder klarzumachen, dass es Perspektiven – wobei Perspektiven vielleicht nicht das richtige Wort ist, es ist eine visuelle Metapher, aber im Gleichnis sind die Leute ja blind – unterschiedliche Erfahrungen sind. Oder mit den abstrakten Begriffen der Systemtheorie „Beobachtungen“, d.h. da ist jemand der beobachtet. Das kann man nicht weg kürzen.

Ohne Beobachtung gibt es nichts und Beobachtungen können unterschiedlich sein, daraus wächst die Spannung: Was nehme ich wahr, was erfahre ich und was erfahren die anderen? Und wie kann ich deren Erfahrungen mit meinen vereinen?


Da könnte man mit Fragen der Kybernetik zweiter Ordnung anknüpfen usw. Was ich im Zusammenhang mit dem Buchprojekt wichtig finde, ist, dass es dir als Herausgeberin gelungen ist, diese Perspektivität konsequent einzuladen und aufzuzeigen. Daher finde ich die Idee, das an einem Gleichnis aufzufädeln, witzig und gut. Dadurch entsteht eine Bezüglichkeit der Beiträge untereinander, so unterschiedlich sie sind. Mir hat das die Chance gegeben, zu wissen an was ich beteiligt bin, auch wenn ich nur meine „Betastung“ beitragen kann. Mir ist zudem das goldene Kalb in den Sinn gekommen.

Moni: Was verstehst du denn unter Coaching im Vergleich zu anderen Beratungsformaten, Supervision, Therapie? Was verstehst du unter Coaching?

Matthias: Ich verwende lieber das Verb „coachen“, weil man sich dann eher ansieht, wer bei dem, was wir Coaching nennen, eigentlich beteiligt ist und in welchen Perspektiven, in welchen Rollen, auf welcher Augenhöhe es stattfindet. Es ist immer wieder zu reflektieren, dass coachen etwas ist, das Menschen miteinander machen. Man spricht immer gerne davon, dass jemand jemand anderen coacht, dadurch kann potenziell ein hierarchisches Gefälle entstehen. Dieses Risiko ist immer gegeben.

In meinem Beitrag habe ich versucht darzustellen, dass ich coachen zuallererst als eine Begegnung von, wenn man das Einzelsetting nimmt, von zwei Leuten verstehe, die zunächst klären müssen, was sie voneinander wollen. Erst wenn das geklärt ist, man kann das die Auftragsklärung nennen, dann entscheiden sie, ob und an welcher Stelle es gut wäre, ein hierarchisches Verhältnis einzugehen.

Wo der Coach doch einen Ratschlag aus seiner Perspektive gibt und wo man dann wieder in diese Verbalstruktur, dass hier coachen von zwei Seiten oder mit zwei Menschen stattfindet, zurückkehrt. Ich plädiere nicht dafür, dass nie einen Ratschlag gegeben werden darf. Aber das muss transparent geschehen, und immer im Dienst dessen, worauf man sich ursprünglich geeinigt hat.

Moni: Ich kann das nachvollziehen. Ich mag die Herangehensweise mit dem Verb und möchte darauf gleich noch einmal eingehen. Zuvor habe ich aber noch eine Idee im Kopf, die ich auch immer parallel mitgedacht hab, als ich dein Kapitel gelesen habe:

Für mich ist Coaching etwas, was sich ereignet, wenn mindestens zwei Elemente zusammenkommen. Nach meinem Coachingverständnis kann ich gar nicht so coachen, dass es die Wirkung hat, die der Klient haben möchte, sondern es ist etwas, das sich ereignet, wenn wir zwei gut zusammenpassen, wenn ich professionell bin und wenn der Klient will.

Wie siehst du das? Wenn ich sage, es ist ein Zustand, der auch nur bedingt kontrollierbar ist, scheint das diametral zu deiner Auffassung, es sei ein Verb.

Matthias: Ich finde es gut, dass du diesen Unterschied ausformulierst. Ich glaube, dass das gut zueinander passt. Etwas anderes, das sich „ereignet“ ist Regen und da sagen wir „es regnet“. Wir könnten beim Verb bleiben und sagen „es coacht“. Wie Lichtenberg mal gesagt hat, „wir sollten eigentlich nicht sagen, ich denke, sondern ‚es denkt‘, wie ‚es blitzt‘.“ Ich finde, dass die verbale Perspektive sehr gut dazu passt. Und ich bin dir dankbar, dass du das sagst, weil dieser Aspekt, dass da auch einfach was passiert, sich etwas ereignet, wie du sagst, entschlüpft leicht.

Moni: Jetzt erinnere ich mich an eines meiner Lieblingsbonmots von dir, die Tooligans*, und frag mich, was ist in deinem Kopf repräsentiert? Was denkst du tatsächlich, was können therapeutische Ansätze, Theorien, Modelle, Therapiekonzepte für Coaching bereithalten? Eine Art Handwerkszeug? Wie würdest du das in Worte fassen?

(*Was genau es mit den Tooligans auf sich hat, können Sie hier in unserer Kolumne zur Vortragsreihe „Führung und Coaching“ nachlesen.)

Tooligan (generiert mit Musavir.ai)
Tooligan (generiert mit Musavir.ai)

Matthias: Ja, das Wort ist Handwerkszeug oder Tools. Ich will Tools nicht in Bausch und Bogen kritisieren. Im Gegenteil, wenn man bestimmte Ideen hat, wie man einen Gesprächsverlauf oder einen Kommunikationsverlauf beeinflussen kann, im Sinne von irritieren, dann ist das ein Handwerkszeug, etwas, was man bereit hat: Wie stelle ich welche Fragen? Stelle ich offene, geschlossene Fragen? Stelle ich zukunftsbezogene Fragen, Vergangenheitsfragen?

Tooligan (eigene Grafik)
Tooligan (eigene Grafik)

Das wird davon beeinflusst, was meine Veränderungsideen sind, was geklärt werden muss usw. In der Geschichte der Psychotherapie gibt es da unheimlich viele Methoden und Erfahrungen – ich nenne es mal bewusst Erfahrungen nicht Wissen – und davon können Coaching-Prozesse auch stark profitieren, glaube ich.

Nehmen wir das zirkuläre Fragen, wenn wir mit Teams oder ähnlichem zu tun haben. Ein Team ist etwas anderes als eine Familie, aber das Modell des zirkulären Fragens ist aus meiner Sicht abstrakt in seiner Grundidee, Perspektivitäten zu erfragen und Leute dahin einzuladen, Multiperspektivität zu erfahren. Ich würde sagen, man kann sehr viel von dem profitieren, was ursprünglich in therapeutischen Kontexten entwickelt worden ist.

Moni: Ich fange mal bei dem an, was mir persönlich sehr wichtig ist: der Sinn und Zweck. Warum machen wir zwei das? Warum haben wir so einen Ansatz und warum wollen wir wirken? Im Coaching, in der Beratung wie auch immer. Was ist der Sinn?

Matthias: Ich glaube, es gibt im Leben Erfahrungen, bei denen man Menschen erfährt, die man selbst als Lebenscoach oder Lebensberater*in gut fand, und davon profitiert hat. Dann habe ich auch untersucht, was diese denn anders gemacht haben als andere Adressaten*innen, die ich schon angesprochen hatte. Das finde ich interessant und das hat mich dann inspiriert, auch auf meine Erfahrung zu gucken: Wo habe ich das für andere sein dürfen. Das gab‘s auf jeden Fall.

Ein bisschen gespeist ist es auch aus einer philosophischen, historischen und auch politischen Perspektive. Die Grundidee der platonischen Akademie war, „Erkenne dich selbst und kümmere dich um dich selbst“, was heute als Selbstfürsorge wieder so populär ist. Eine überspitzte Hypothese meinerseits ist, dass Selbstfürsorge und Selbsterkenntnis immer im Dienst der Sorge um den anderen stehen. Sonst machen sie keinen Sinn. Von den Leuten, die in den philosophischen Akademien waren, kamen viele aus den Kreisen, die später die Verantwortung für die Polis übernommen haben. Da habe ich für mich selbst eine Verantwortung, mich selbst kennenzulernen, wo ich auf Gewissheitsspuren bin, die ich vielleicht lieber verlassen sollte. Und wenn ich Gelegenheiten habe anderen zur Verfügung zu stehen, wenn sie auf einem ähnlichen Weg sind, sich gut um sich selbst kümmern zu können, dann macht es Freude, wenn man die begleiten kann. Das macht schon Spaß, ja!

Mit der Coaching-Weiterbildung als berufsbegleitende Maßnahme lernen Sie geeignete Werkzeuge kennen, vor allem aber entwickeln und festigen Sie Ihre eigene Haltung. Entdecken Sie mehr in unserem Flyer zur Coaching-Ausbildung.

Moni: Ich strahle und ich habe Gänsehaut. Ich bin da total anschlussfähig. Ich beschäftige mich schon seit mehreren Jahren damit, die nachwachsende Generation an Coaches zu inspirieren, zumindest versuche ich es. Ich würde denen von so erfahrenen Hasen wie dir gerne etwas mitgeben. Deswegen folgender Impuls: Welche unverzichtbaren Fähigkeiten sollte ein Coach deiner Meinung nach mitbringen und kultivieren?

Matthias: Das klingt komisch, aber was mir als erstes einfällt, ist das Aushalten von Kontingenz. Kontingenz so verstanden, dass das, was ist, offensichtlich möglich ist, sonst wäre es nicht, aber es ist nicht notwendig, dass es so ist. Sich damit gut beschäftigt zu haben, auch in Bezug auf gutes Reflektieren, ist wichtig.

Ich würde es so erklären, auf einen selbst bezogen, dass man erkennt das, was man gerade denkt und für richtig, gewiss hält, vielleicht eine Halbwertszeit hat, dass es eine Vorläufigkeit hat oder haben kann. Das bedeutet auch beim Zuhören und beim Erfahren von Klientinnen und Klienten, zu überlegen, wo es Möglichkeiten oder sogar schon Signale gibt, aus dem auszusteigen, was sich bislang als das Dominierende gezeigt hat, aber wo man unbedingt raus will. Wie kriege ich als Coach es hin, da mitzugehen und genau abzulauschen? Wann ist der nächste Schritt möglich, um trotzdem das zu würdigen, was bisher war, ohne es fortsetzen zu müssen.

Das, was bisher war, war so, wie es war, und war offenbar auch möglich. Aber die Notwendigkeit, dass es so sein muss, wie es bisher erfahren worden ist, besteht nicht. Das wäre mein, vielleicht auch misslungener, Versuch, zu beschreiben, wie wichtig Kontingenzbewusstsein ist.

Das ist ein Wort, das man nicht immer auf der Lippe führen muss, aber man muss es als notwendig erachteten, aus Leiden oder Unwohlsein produzierenden Mustern rauszukommen und damit erkennen, dass sie so, wie sie es sind, halt sind, aber nicht notwendigerweise so bleiben müssen, dass sie nicht notwendig sind.

Herausgeberband von Prof. Zimmermann „Coaching – zum Wachstum inspirieren“
Herausgeberband von Prof. Zimmermann „Coaching – zum Wachstum inspirieren“

Moni: Was steckt hinter dem Wort Philosophieren im Titel deines Kapitels „Coaching ist ein Verb: Philosophieren im und über Coaching“ im Herausgeberband?

Matthias: Ich möchte Attraktivität gewinnen für Philosophieren als eine Tätigkeit des sich Kümmern um sich selbst. Da steckt Philo drin, also „freunden“, es gibt kein deutsches Verb für freunden, bislang jedenfalls nicht. Aber offenbar können wir es ja sagen und Leute können etwas damit anfangen.

Sich damit anzufreunden und sich gut um sich selbst zu kümmern und in Bezug darauf, was man bisher für gewiss gehalten hat und wie dienlich das ist, das ist es, was ich unter Philosophieren verstehe.

Da ist es ein Prozess und das Ergebnis ist keine Philosophie in dem Sinne, dass sie, wenn ich das nochmal aufnehme, zur Mission werden soll. Dann ist es schlauer, man fällt nochmal ins Philosophieren zurück. So würde ich das verstehen.

Moni: Faszinierend! Das ist nah an meinem Verständnis von Coaching, mit diesem sich selbst nie zu ernst nehmen, immer wieder hinterfragen. Du sagst es so schön, wie ich finde: die eigenen Gewissheiten.

Matthias, ich danke dir für das aus meiner Sicht inspirierende Gespräch. Ich hoffe auf mehr Gespräche mit uns beiden.

Na, neugierig geworden? Das gesamte Gespräch können Sie sich hier komplett anhören:

Für all diejenigen, die statt Zuzuhören lieber genussvoll lesen, haben wir das Gespräch transkribiert und stellen es hier als PDF-Datei zur Verfügung. Viel Vergnügen!

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