Wissenswertes und Impulse zu (Über-) Stabilität, Veränderung und zum Leben – persönlich und im Unternehmen

Wie viel Stabilität braucht es – im persönlichen Leben, der eigenen Karriere, aber auch im Unternehmen – um Sicherheit zu gewährleisten? Wann wird gesunde Stabilität zu gefährlicher Überstabilität, die Veränderungen im Weg steht? Und wie geht man als Coach, Berater oder Führungskraft mit diesem Thema um? Wann ist ein Mensch lebendig?

Solche Fragen kamen im vierten Modul der Coaching-Ausbildung wiederholt vor.  

So stellte Prof. Dr. Jürgen Kriz in seinem inspirierenden Vortrag Mitte Oktober 2022 die „angemessene Verstörung“ als mögliches Gegenmittel gegen überstabile Muster vor. Dabei werden bisherige Muster im Denken, Wahrnehmen und Interagieren in Frage gestellt, der Kontext, in dem das geschieht, wird verändert und erweitert. So kann der Klient (oder Mitarbeiter) neue Perspektiven einnehmen und auf der Metaebene zielführend agieren. 

stabile Muster Bildnachweis
Stabile Muster können hilfreich sein …

Der Gedanke der Überstabilität hat bei den Teilnehmenden Resonanz erzeugt. In der gemeinsamen Reflexionsrunde, bei der jeder seine Erkenntnisse vom Wochenende vorstellte, wurde mehrfach auf das Thema eingegangen. 

Es folgen Auszüge aus diesem transkribierten Gespräch in der Ausbildungsgruppe. (Hinweis: Die Namen der Gesprächsteilnehmenden sind anonymisiert, mit Ausnahme der Ausbildungsleitung, Prof. Dr. Monika Zimmermann.)

Ein Teilnehmer etwa fasste seine Erkenntnisse so zusammen: 

Was nehme ich mit? Was ich sehr spannend fand, ist dieser Gedanke der Hyperstabilität. Ich mag ja manchmal eher martialische Ausdrücke anstatt so was wie Balance und Harmonie. Deswegen habe ich geschrieben „zementierte Gedanken, Muster und Strukturen erkennen, aufbrechen und zerstören.“ Ich habe das Wort bewusst gewählt, um aus dem Zement wieder etwas Positives zu formulieren.  
Dann habe ich eben Verstörung, also Unsicherheit, Furcht und Angst bekämpfen durch Konfrontation. Also auch wieder bewusst rein in den Schmerz, um daraus wieder etwas Positives zu kreieren.  
Das letzte Wort war das Wort Moratorium. Auch das fand ich einen total spannenden Gedanken. Das war aber eher eine Erkenntnis für mich als etwas, das gelehrt wurde. Also, dass ich gesagt habe, „Moratorium ist ein Zustand der starken Veränderung.“ Dann habe ich kurz innegehalten und festgestellt, dass ich die letzten zehn Jahre in einem Dauerzustand der starken Veränderung war. Also ich habe das Gefühl, ich befinde mich in einem dauerhaften Moratorium. Das waren die wichtigsten Erkenntnisse.

Eine andere Teilnehmerin formulierte ihre Gedanken so und rief bei den Anderen weitere Assoziationen hervor: 

Katharina: Dann habe ich Entwicklungskreislauf geschrieben. Da habe ich einfach geschrieben, Entwicklung bedeutet überstabile Muster zu entkrusten. Ich fand das Wort entkrusten irgendwie ganz nett. Durch angemessene Verstörung, also die Erhöhung von Komplexität und anschließender begleiteter Stabilisierung. Dies ist ein fließender Kreislauf. Also es war für mich auch eine Erkenntnis, weil ich immer dachte, Entwicklung sei ein linearer Prozess. Jetzt habe ich gemerkt, „Nein, man geht auch immer noch mal so ein Stückchen zurück, bis man dann wieder ein Stückchen nach vorne gehen kann.“ 

[…] 

Birgit: Mir fällt beim Entwickungskreislauf auf, du beschreibst, dass man zurück muss. Vielleicht ist es dann eher Entwicklungsspirale? 

Sabine: Ich habe an das Demingrad gedacht. Kennt ihr das? Ich stelle es mal vereinfacht dar: Das ist praktisch eine Kontinuität, kontinuierliche Verbesserungen. Du hast den leicht ansteigenden Berg und das Rad geht mit jedem Schritt vorwärts. Also, du hast eine Erkenntnis, du setzt das um, dann wird es ein bisschen nach oben gesetzt. Dann gibt es einen Keil, der das festigt. In der Firma sind das zum Beispiel gewisse Maßnahmen, die du triffst, um nicht in alte Muster zurückzufallen o.ä. Das heißt, du gehst immer ein Stückchen den Berg hoch. Das hat schon was Lineares, du wirst kontinuierlich besser. Aber es muss sich irgendwas drehen, damit es nach vorne geht. Und damit es nicht zurückfällt, gibt es eben Dinge, die da den Keil reinsetzen. 

Moni: Das ist der PDCA-Zyklus von William Deming, den hat er Anfang der 70er erfunden. Was ich so faszinierend finde, ist, dass den Deming bei uns in Europa erst mal keiner hören wollte. Er ist dann nach Japan gegangen und da wurde aus diesem Konzept das sogenannte Kaizen. Dieses Kaizen ist genau das, was du mit diesem Rad perfekt beschrieben hast. Das muss sich drehen, um sich höherwärts zu bewegen. 

Deming Rad Bildnachweis
Das Prinzip der kontinuierlichen Verbesserung nach William Deming (Zimmermann 2011, S. 109)

Zuletzt fragte sich eine Teilnehmerin, wie sie dieses Wissen in Zukunft konkret in der Praxis anwenden kann: 

Zu dieser Überstabilität: Beim drüber reden und reden und reden habe ich irgendwie gedacht, „Das ist eine gewonnene Erkenntnis, die nicht die Zeit überdauert. Die heute gepasst hat, in fünf Jahren aber nicht mehr passt.“ Wir wissen ja Handeln ist Wandel und das verändert sich. Wie im Change-Management und der Politik, muss man sich auch auf etwas Neues einstellen. Wir sehen überall, dass sich was verändert. Und doch hat es noch nicht jeder kapiert, also auch für sich selbst nicht.  

Ich habe mir aufgeschrieben, dass das jeder kapieren muss. Jeder muss sich anpassen lernen, nicht nur die, die sich mit Psychologie auseinandersetzen. Ich habe mich wirklich gefragt, was mache ich ganz konkret mit diesem Thema Verwandlung, was eigentlich jedem bekannt ist, in meinem beruflichen Umfeld. Also was mache ich denn, wenn ich einen CEO habe, der aus meiner Sicht nicht visionär genug unterwegs ist, um das Unternehmen zu sichern? Und gleichzeitig was mache ich mit Personen, die halt einfach 20 Jahre das gleiche gemacht haben und sich jetzt auf andere Themen einstellen müssen? Da habe ich so drum gekreist, was Überstabilität konkret für mich bedeutet in meiner Arbeit. Das ist ein richtiges Paket, finde ich. Und da kreist noch einiges. Also da bin ich jetzt noch nicht zu einer Erkenntnis gekommen, aber ich habe mich auch losgelöst davon, eine einzige Erkenntnis haben zu wollen. Das wird in den verschiedensten Situationen immer wieder kommen. Die Frage ist, wie man damit umgeht.

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notierte Erkenntnisse zu Überstabilität

Eine mögliche Antwort auf diese Frage formulierte eine weitere Teilnehmerin: 

Es geht um’s Verbinden. Wie zum Beispiel bei dem Paar Veränderung und Überstabilität, muss man eben zwei scheinbar gegensätzliche Dinge vereinen. Es handelt sich um zwei völlige Gegensätze, aber du brauchst beides, damit es funktioniert. Deswegen verbinden.

Am Tag darauf ging auch Co-Ausbilder Dr. Josef Geider auf dieses Thema ein. So betonte er: „Leben heißt Veränderung: Leute, die nicht mehr über ihr Leben und Tun reflektieren sind tot.“ 

Das Beispiel mit den Fischen – eine besondere Sicht auf das Leben, Dr. Josef Geider

Im Existentialismus wird die These aufgestellt, dass nur der sich selbst reflektierende Mensch wirklich lebendig ist. Tut er das nicht, kann er in diesem Sinne als „wandelnder Leichnam“ betrachtet werden. Indem wir über uns selbst nachdenken, verändert sich unser Wesen, verändert sich, wenn auch zunächst meist nur sehr leicht, das, was man unsere Gehirnstrukturen nennen kann, und wir werden quasi immer wieder neu geboren. So leben wir und nur so können wir leben. Denn Leben ist Veränderung, Stillstand ist Tod. 

Diese Sichtweise des menschlichen Lebens ist biologisch gut untermauert und kann mit einem Fischbeispiel erklärt werden. Man stelle sich zwei Fische vor, die eigentlich nur einer sind, und die hintereinander herschwimmen. Der hintere Fisch betrachtet den vorderen Fisch beim Schwimmen (Reflexion) und während er dies tut, bewegen sich beide Fische weiter. Sie kommen voran. Denkt man sich einen weiteren, einen dritten Fisch dazu, dann könnte das etwa ein Philosoph sein, also einer, der als dritter Fisch zuschaut und Erkenntnis darüber gewinnt, wie er selbst als zweiter Fisch über sich als ersten Fisch nachdenkt, indem er sich beim Schwimmen betrachtet.

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Drei Fische als Metapher für Reflexion

Etwas kompliziert, was? Aber wichtig daran ist auch noch die Gleichzeitigkeit in der Weiterbewegung der Fische, die im Beispiel ja letztlich nur ein einziges Individuum bilden. Es gibt nämlich durchaus Fischarten, die nur so leben können, indem sie immer in Bewegung sind, weil nur so ausreichend Wasser und Sauerstoff durch ihre Kiemen strömen. Das ist die zweite wichtige Sinnstiftung in diesem Fischbeispiel.

Wir Menschen erfahren uns schon rein sensorisch immer nur durch Veränderungen. Gibt es keine Bewegung, keine Lichtwellen, keine Schallwellen, keinen Unterschied zwischen Warm und Kalt, dann verspüren wir auch nichts. Hören wir völlig auf, uns zu bewegen, zu essen und zu trinken, sind wir bald im Koma, hört unser Herz auf, zu schlagen, sterben wir. Auch Glück erfahren wir auf diese Weise. Ist es immer gleich schön und gut, hören wir auf, das überhaupt noch zu bemerken. Zum Glück ist auch zwischen viel Glück und sehr viel Glück immer noch ein Unterschied, der uns Glück erleben lässt.


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1 Kommentar zu „Wissenswertes und Impulse zu (Über-) Stabilität, Veränderung und zum Leben – persönlich und im Unternehmen“

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