Wie komme ich ins Gespräch? Rückblick auf ein handlungsleitendes Ausbildungswochenende

Soziale Interaktionsphänomene, Qualitätsmanagement, Gestalt- und Hypnotherapie, Psychiatrie und Gesprächsanlässe im Coachingprozess

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Unsere Coaching-Ausbildung ging am Wochenende des 17. – 19. März 2023 mit Modul 6 in die vorletzte Runde. Im virtuellen Modul 5 erlebten die Auszubildenden das Format des Online-Coaching am eigenen Leib, dieses Mal durften die drei Dozierenden und sechs Gastdozierenden des Zentrums für interdisziplinäres Coaching die Teilnehmenden auf diesem weiteren großen Schritt ihrer großen Lernreise wieder „live und in Farbe“ begleiten.

Deutlich zu spüren waren die Wärme und das Vertrauen, das sich in dieser Gruppe seit Beginn ihrer Ausbildung gebildet hat. Dazu machten zahlreiche Gastvorträge das Wochenende perspektiven- und abwechslungsreich, inspirierend und kurzweilig: Frank Dages regte dazu an, sich für die eigene Professionalisierung im Coaching mehr mit dem Thema Qualitätsmanagement zu befassen, auch wenn „ISO-Zertifizierung“ im Coaching-Feld für manche vielleicht eher unpassend wirkt. Dr. med. Volkmar Aderhold begleitete die Teilnehmenden in einer vertrauten Diskussionsrunde an zwei halben Tagen, wobei er auf offenherzige und auflockernde Art seine hilfreichen Einsichten aus seiner Expertise im Bereich Psychiatrie(-Forschung) mit uns teilte. Vom Dozenten Dr. Jo Geider wurde u.a. zu Stift, Kreide, Pinsel und Papier gebeten: So konnten in einer theoriegestützten Praxiseinheit Aspekte der Kunst-/Gestalttherapie ausprobiert werden, die auch für Coaching-Prozesse hilfreich sein können. Schließlich stellte der Dozent Tobias Jaeger die Techniken des Rückfallmanagements von Prof. Dr. Axel Koch sowie – zusammen mit Monika Zimmermann – Möglichkeiten zur Gruppen-Potential-Analyse durch dialogische Selbst- und Fremdeinschätzung vor. Und natürlich wurde mit der Ausbildungsleitung Prof. Dr. Monika Zimmermann auch wieder viel über die verschiedenen Coaching-„Schulen“ diskutiert, z.B. über den hypnosystemischen Ansatz, der am PDCA-Zyklus und diversen Frage-Formen veranschaulicht und praktisch verfügbar gemacht wurde. Abschließend hatten die angehenden Coaches die Gelegenheit, den aktuellen Stand ihres eigenen Coaching-Konzeptes zu besprechen. Ein Highlight war am 17.03. der dritte Vortragsabend der interdisziplinären Reihe „Zum Wachstum inspirieren“ unter dem Motto „Befähigen“ (Lesen Sie hierzu unseren Beitrag). Vortragende waren Dr. Patrick Rapp MdL, Matthias Ohler, Prof. Dr. Axel Koch und Prof. Dr. Diethelm Wahl.

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Die Teilnehmenden und Dozierenden im 6. Modul der interdisziplinären Coaching-Ausbildung. © Prof. Dr. Monika Zimmermann, Zentrum für interdisziplinäres Coaching

Tag 1 – Input & Diskurs

  • Frank Dages: “Qualitätsmanagement, cui bono oder wer hat welchen Nutzen dabei?” (Zusammenhänge von QM mit Therapie und Coaching)
  • Der PDCA-Zirkel aus didaktischer und aus Coaching-Perspektive
  • Systemtheorie: systemisch-konstruktivistische Didaktik (Kurz-Input & Transfer auf Coaching-Praxis)
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Die Ausbildungsleitung mit der ‚Lernspirale‘. © Prof. Dr. Monika Zimmermann, Zentrum für interdisziplinäres Coaching
  • Der hypnosystemische Ansatz nach G. Schmidt (Kurzvorstellung und Diskussion)
  • Fragen im Coaching (interdisziplinär)
  • Technik des Rückfallmanagements, Vorstellung der Methode und Einführung zum Gastvortrag Prof. Dr. Axel Koch
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Teilnehmende des 6. Moduls der Coaching-Ausbildung mit Gastreferent Frank Dages am Freitag. © Prof. Dr. Monika Zimmermann, Zentrum für interdisziplinäres Coaching

Tag 2 – Erfahren & Üben

  • Jo Geider: Individuelle, kollektive, professionelle Entwicklungsaufgaben; Körpersprache – und ihre Rolle im Coaching; Grundlagen und Übungen aus der Kunsttherapie – Transfer auf Coaching-Praxis
  • Volkmar Aderhold: Erkennen und Beschreiben von sozialen Interaktionsphänomenen, die im individuellen Erleben Wirkungen zeigen (Reflexion von Fallbeispielen)
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„Haus – Baum – Person“, eine kleine kunst-gestalttherapeutische Einstiegsübung – im Vordergrund steht das Bild als Gesprächsanlass, nicht die Deutung. © Prof. Dr. Monika Zimmermann, Zentrum für interdisziplinäres Coaching

Tag 3 – Interaktionsphänomene erkennen & reflektieren

  • Anschluss an Diskussionsrunde vom Vortag mit Volkmar Aderhold
  • Theorie-Praxis-Transfer: Coaching-Konzepte (Grundlagen, Bestandteile, Gliederungsmöglichkeiten)
  • Christian Wewezow: Impulse zu Geschäftsmodell & Geschäftsmodellentwicklung im Coaching
  • „Potenzialgespräch“: Die Potenzial-Analyse als Fragebogen-gestützte Methode zur individuellen und kollektiven Weiterentwicklung durch wiederholte Selbst- und Fremdeinschätzung(en)
  • Prüfungsvorbereitung
  • Ausblick auf das nächste Modul und Feedback
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Mindmap zum eigenen Coaching-Konzept. © Prof. Dr. Monika Zimmermann, Zentrum für interdisziplinäres Coaching

Qualitätsmanagement im Coaching: Ausdruck von Reflexionsbereitschaft?

Zunächst wurde mit einem Thema gestartet, das den meisten vielleicht schon das eine oder andere Mal Bauchschmerzen bereitet haben dürfte: Qualitätsmanagement (QM). Im Arbeitskontext bedeutet das oft Stress, Druck und manchmal Angst. Aber natürlich hängt das auch damit zusammen, wie mit der anstehenden Qualitätsprüfung auf grundlegender Ebene umgegangen wird. Sind die Prüfenden unsere Feinde oder unsere Freunde? Wie hängen QM und Zertifizierungen der eigenen Profession, v.a. im Coaching, zusammen?

Unter QM verstehen wir geläufig:

„Anforderungen von außen.“

„Diverse Qualitätsmerkmale: Was sollte ein Produkt können?“

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So trocken das Thema Normen und Qualitätsmanagement auch manchmal erscheinen mag, zielführend umgesetzt können hilfreiche Impulse daraus entstehen. © Prof. Dr. Monika Zimmermann, Zentrum für interdisziplinäres Coaching

Eine Zertifizierung nach DIN EN ISO-Standard ist eher Industrie- und produktorientiert. Dazu gibt es auch die sog. Personenzertifizierung, etwa bei Sachverständigen des Brandschutzes oder TÜV. Sie weist einen gewissen Lehr-/Lernaufwand für bestimmtes Know-How, den Abschluss einer externen Prüfung und einen Gültigkeitszeitraum nach. Wie sinnvoll ist nun als Coach ein solches Zertifikat bezogen auf die eigene professionelle Person im Gegensatz zur Akkreditierung des gegenständlichen Produkts oder des Unternehmens? Darüber diskutierten die Teilnehmenden mit den Dozierenden:

„Würde ich mich jetzt selbstständig machen als Coach, ist die Personenzertifizierung als Werbung gut?“

Monika Zimmermann: „Ein Coach ist ja etwas anderes als einer vom TÜV. Da geht es eher um einen bestimmten Background und um professionelle Haltung. Im Feld für Coaches wird das meiner Ansicht nach nicht durch so eine Zertifizierung nachgewiesen. Es würde bei einem CEO ja z.B. auch eher suspekt wirken, wenn man nur eine Personenzertifizierung nach ISO hätte.“

„Aber wäre das nicht ein Add-On, eine zusätzliche Wertigkeit?“

MZ: „Bringt uns das auf dem Markt was? Ich sage nein…“. (Es geht hier eher um Zertifizierungen von Coaching-Aus- und Weiterbildungen, die einem adäquaten, also hohen Qualitätsanspruch gerecht werden, vgl. DBVC/IOBC-Zertifizierung)

Frank Dages: „Wenn es um menschliche, empathische Kompetenzen geht, ist es eher schwierig. Bei Betriebswirten/Technischem usw. ist es einfacher. Wir wollten halt damals die Zertifizierung mehr in den Bildungsbereich bringen. Aber ob es einen wirklich zu besserem Management bringt…“

MZ: „Zumindest würde es vielleicht etwas für die inflationäre Verwendung des Coach-Begriffs bringen.“

FD: „Es bräuchte auf jeden Fall etwas zur Abschätzung bzw. Unterscheidung fachlicher und empathischer Kompetenzen.“

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Gastvortrag von Frank Dages zum Qualitätsmanagement. © Prof. Dr. Monika Zimmermann, Zentrum für interdisziplinäres Coaching

Es ist wichtig zu wissen, dass die nichtakkreditierten Zertifizierungen (im Gegensatz zu akkreditierten Zertifizierungen ) nicht besonders viel wert sind im Punkto Handlungsbefähigung. Aber mehr als die Zertifizierung an sich zählt vor allem die Einstellung dazu: Ist QM integriert oder wird im letzten Moment noch schnell etwas für das Audit angepasst? Manchmal hätte er auch schon mal abbrechen müssen, so Frank Dages, wenn die Leute sich nicht richtig Zeit nehmen. Dabei kann QM dabei helfen, sein Unternehmen oder seine Profession von Anfang an qualitätsorientiert aufzubauen.

Monika Zimmermann: „Für mich als Forscherin ist Evaluation, Dokumentation etc. schon wichtig.“

„Hab lange gebraucht, um zu kapieren, dass das eigentlich eine gute Sache ist. Da wird nicht ins Produkt reingeredet, sondern geguckt, wie stabil die Prozesse sind. Die Auditoren tracken den Qualitätsfluss und helfen einem dabei, seine Bedingungen sichtbar zu machen und zu optimieren.“

„Im Endeffekt ist das auch eine Frage der Haltung, will ich Qualität leben oder kleb ich mir nur so einen Rahmen an die Wand.“

Ob wir uns nun als Coaches zusätzlichen, qualifizierenden Zertifizierungen unterziehen oder nicht, sicher ist: Seriöses Coaching muss einen hohen Anspruch an Qualität stellen! Das betrifft beispielsweise Zufriedenheit und das Gefühl des Angenommen-Seins aufseiten des Coachee, respektvoller, professioneller und selbstreflektierter Auftritt aufseiten von Coaches, Wahlfreiheit und Aufklärung uvm.

Letztlich ist ein grundlegendes Qualitätsmanagement der eignen Coaching-Profession genauso wie Coaching eine Optimierung des Produktes, nicht des Menschen. Es geht mehr um die Bereitschaft, sich selbst und die Interaktionsqualität zu evaluieren. Schließlich ist eine hohe Qualität der Interaktion ein Wesensmerkmal von professionellem Coaching.

Entlang des Deming-Rads gehört Evaluation auf allen Ebenen dazu. Dies braucht Reflexionskompetenz und Kritikfähigkeit. Ersteres umfasst z.B. das Erkennen des eigenen „Urteils-Handlungs-Hiatus“ oder auch der eigenen blinden Flecken bzgl. des eigenen Urteilens und Handelns.

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Reflexionskompetenz. © Prof. Dr. Monika Zimmermann, Zentrum für interdisziplinäres Coaching

Zur Methode des Rückfallmanagements nach Prof. Dr. Axel Koch

Passend zum begleitenden Qualitätsmanagement aller Strukturen und Prozesse unterstützt das „Rückfallmanagement“ bei der nachhaltigen Verhaltensänderung. Denn so etwas braucht es in der Regel, um nicht in alte, unerwünschte Verhaltensmuster zurückzufallen.

Eingänglich war für die Anwesenden die Metapher der Leiter für Veränderungsprozesse. Denn Veränderung ist nicht nur eine simple, nur einmal gefällte Entscheidung: Veränderung ist ein langwieriger, oft schwieriger Prozess, „Stufe für Stufe“. Eine Leiter verdeutlicht auch das im-Auge-Behalten des Ziels, die Möglichkeit des Nachjustierens während des Vorwärtskommen und die Messbarkeit des Erfolgs. Trotzdem hängt natürlich viel von der ersten Entscheidung ab, die Leiter besteigen und drauf zu bleiben zu wollen.

Tobias Jaeger: „Früher dachte ich immer, ‚In der Hauptsache zählt nur der Wille‘. Dass das nicht so ist, wird hier gut dargestellt.“

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Logbuch Gewohnheiten nachhaltig verändern – Die Technik des Rückfallmanagements, Vorstellung der Methode  durch Tobias Jaeger und Einführung zum Gastvortrag von Prof. Dr. Axel Koch. © Prof. Dr. Monika Zimmermann, Zentrum für interdisziplinäres Coaching

In den „Schritten zum Rückfallplan“ wendet Koch die Analogie der Autobahn an: Wir fahren im ‚Autopilot‘ in eine Richtung mit rasender Geschwindigkeit und ohne nachzudenken. In dieser Art Blindflug kann es leicht passieren, die richtige Abfahrt zu verpassen. Doch wir wollen raus aus dem Automatismus und etwas verändern, also die Abfahrt nehmen. Es gilt daher zunächst, aus diesem Modus des Blindflugs herauszukommen, damit Veränderung möglich wird.

Unter anderen geht es um sogenannte Vorboten, die anzeigen, wenn wir uns kurz vor einem Rückfall (vor der Ausfahrt) befinden. Sie sind aber keinesfalls unheilsame Schatten, sondern immer Chancen zum Bemerken und folglich zur Steuerung des eigenen Verhaltens.

Tobias Jaeger auf Nachfrage: „Da muss man vielleicht nochmal einen Schritt rückwärts gehen: Wo war der Punkt, dass man dann doch nicht zum Sport gegangen ist? Was hat einem am Tag so gestresst…“

Es bedarf dann schließlich im Sinne eines gezielten Rückfallmanagements konkreter Handlungsalternativen, die an die Vorboten anknüpfen und verhindern, in alte Gewohnheiten zu verfallen.

Jedenfalls wurde deutlich, dass sich der Sekundenbruchteil zwischen gutem Willen und alter Gewohnheit in verschiedene Schritte aufdröseln lässt: So kann analysiert werden, wo wir eine realistische Möglichkeit haben, dem Rückfall in alte Muster zu begegnen und diesem entgegenzusteuern.

Der Ansatz des Rückfallmanagements kann angehenden Coaches dabei helfen, ihren Coachees zu mehr Umsetzung von Zielen zu verhelfen. Denn letztlich hängt sehr viel von unseren Gewohnheiten ab.

Durch Fragen ins Gespräch kommen (Beispiel: hypnosystemisches Coaching)

Coaching-Anfänger stehen oft vor der (meist selbst gemachten) Herausforderung, immer die passenden Worte oder Fragen parat haben zu „müssen“. Was ist, wenn mir nichts mehr einfällt? Wie mach ich weiter? Das erzeugt Druck. Und Druck erzeugt selten Kreativität oder Resonanz.

Eine gute Möglichkeit, sich für die Interaktion ein wenig die Angst zu nehmen, sind Fragen. Fragen gehen immer, natürlich nur solange sie sinnvoll und behutsam eingesetzt werden. Denn Fragen können auch ganz schön triggern und jemanden richtig sauer machen. Ebenso können sie jedoch starre Urteile wieder etwas mehr aufweichen.

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Fragen im Coaching. © Prof. Dr. Monika Zimmermann, Zentrum für interdisziplinäres Coaching

Aber was frag ich denn? Dazu hilft: Wie kann gefragt werden? Das heißt, die Vergegenwärtigung verschiedener Arten des Fragens verhilft einem mit der Zeit zum eigenen Fragen-Repertoire. Hierfür gab die Ausbildungsleitung folgenden Tipp:

Monika Zimmermann: „Üben macht zwar den Meister, aber das kann man schwer üben. Man muss sich eher reinfühlen. Es ist hilfreich, seine Lieblingsfragen zu kennen. ‚Wer schreibt bleibt‘, also notiert mal: Welche Fragen liebt ihr?“

Das meiste zum Thema Fragetechniken und Fragestrategien im Coaching kommt aus der systemischen Schule. Deshalb greifen verschiedenste Beratungsansätze, z.B. der hypnosystemische, etwa auf die sog. Zirkulären Fragen oder „Wunderfragen“ zurück.

Auf systemische Art kann besonders gut „um die Ecke“, im System gefragt und dadurch etwa eine neue Perspektive eingebracht werden. Generell lohnt es sich, dranzubleiben und nicht müde zu werden, um einen positiven Sinn herauszufinden. Die Frage „Was noch?“ eventuell verbunden mit der Sicht eines Außenstehenden kann zu neuen Erkenntnissen führen. Viel Geduld wie Ausdauer gehören schließlich zum Coaching dazu. Wie intensiv gefragt wird, hängt dabei stark vom jeweiligen Ansatz ab.

Dafür sollten die Teilnehmenden ein Verständnis für Arten des Fragens in verschiedenen Coaching-„Schulen“ erlangen. Dies entspricht dem interdisziplinären Leitbild des Zentrums und erweitert den Horizont für das eigene Coaching-Konzept. Im Gegensatz zum systemischen Ansatz wird etwa im Personenzentrierten Ansatz (Rogers) weniger konfrontativ, systemisch und ‚aufwühlend‘ vorgegangen, sondern behutsamer, personzentrierter: Generelle Zurückhaltung, aktives Zuhören, vorsichtiges Nachfragen und Rückfragen zur Bestätigung des eigenen Verständnisses usw.

Den Auszubildenden wird diesbezüglich zur allgemeinen Annäherung eine ganze Fragensammlung zu allerhand Themenfeldern für ihre Coaching-Praxis zur Verfügung gestellt. Selbstverständlich nicht als Fragen aus der Konserve zum Auswendiglernen, sondern um ein Bild zu gewinnen, was das Fragen in verschiedene Richtungen ermöglichen und eröffnen können.

Monika Zimmermann: „Coaching und Führung sind wie Tanzen … gute Fragen schaffen den Rhythmus!“

Gerade bildliche Fragen und solche, die mit Gefühlen und Zustände assoziieren sollen, eignen sich in bestimmten Ansätzen besonders gut. Ein spezifischer Coaching-Ansatz, den die Teilnehmenden vorgestellt bekamen, ist der hypnosystemische Ansatz (G. Schmidt). Der Fokus liegt hier auf dem ganzheitlichen Erleben des Problems sowie den eigenen Kompetenzen zur Lösung. Sinnvoll sind hierfür etwa Fragen, die Lust machen, an etwas Schönes zu denken: dies verhilft dem Hineinfühlen in einen Zustand der Lösung. Dazu gilt es, verfestigte Problemmuster zu verflüssigen und systemisch neue Perspektiven für Veränderung einzubringen. Die Teilnehmenden sahen außerdem Parallelen zur Positiven Psychologie sowie zum Neurolinguistischen Programmieren hinsichtlich des spezifischen Aufmerksamkeitsfokussierens.

Folgende, dem hypnosystemischen Ansatz zugrundeliegenden Werte kristallisierten sich für die angehenden Coaches heraus: Ganzheitlichkeit, Verständnis von Problemreaktionen als Lösungs- bzw. Bewältigungsversuche, Verhaltensmuster im zugewiesenen und konstruierten Sinne sowie Angebot mehrerer Hypothesen und Narrative für den Coachee zur Auswahl im Sinne von „Leben ist erzähltes Leben“.

Inspirationen aus Körpersprache und Gestalttherapie in Theorie und Praxis

Schon mal ausprobiert? Sein Gegenüber, ohne auf das Blatt zu gucken zu zeichnen? Genau dazu wurden die Teilnehmenden der Coaching-Ausbildung am Samstagmorgen aufgefordert.

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Theorie-Praxis-Übung: Das Gegenüber, ohne hinzugucken zeichnen. © Prof. Dr. Monika Zimmermann, Zentrum für interdisziplinäres Coaching

Wozu das? Diese auflockernde Übung hatte einen Hintergrund, der vom Dozenten Jo Geider nahegebracht wurde: In Anknüpfung an den Merkspruch von D. Wahl „Handeln kann man nur handelnd erlernen“ durften die Teilnehmenden so einerseits Aspekte der Körpersprache und andererseits spezifische Hemmungen ‚guten Zeichnens‘ erleben. Letzteres bezieht sich auf die tief in uns veranlagten und erst ab einem bestimmten Alter ausgeprägten Muster („Punkt, Punkt, Komma, Strich…“), die einen in der Kunst normalerweise von komplexeren und realistischen Darstellungen abhalten. Die Kunst als visuelles Beispiel ist hier nebensächlich, sie bringt es nur recht eindrücklich zum Vorschein.

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Theorie-Praxis-Übung: Das Gegenüber ohne hinzugucken zeichnen. © Prof. Dr. Monika Zimmermann, Zentrum für interdisziplinäres Coaching

Weiteren Input bekamen die Teilnehmenden zur Funktionsweise des Gehirns, immer gekoppelt an ein paar interessante Wahrnehmungsübungen. Im Großen und Ganzen ging es hierbei um vielfältige Einstiegsmöglichkeiten in die Interaktion mit dem Coachee. Das Modell der Hirnhemisphärendominanz wurde vorgestellt und motivierte, sich mehr mit seiner eigenen Disposition zu befassen und den Gleichgewichtszustand aus rational-analytischen und emotional-kreativen Aspekten zu stärken.

Manche der Übungen zur ‚Stärkung‘ eines bestimmten ‚Modus‘ erinnern diesbezüglich sehr an das Prinzip der Zirkulären Fragen (s.o.). Sie sollen schlichtweg zum Nachdenken anregen. Und genau hier liegt auch der spezifische Nutzen für die Coaching-Praxis: Coachees können neue Einsichten gewinnen und sich selbst neu erfahren. Es kann erlebt werden, dass das kreative Ausbremsen üblicher Seh- und Denkgewohnheiten kein Verlust sein muss, sondern ein Gewinn, wodurch sich Denk- und Handlungsmöglichkeiten erweitern.

Dies gilt in ähnlicher Weise für den von Jo Geider vorgestellten und angeleiteten „Haus-Baum-Person-Persönlichkeitstest“ (House-Tree-Person: HTP), den die Anwesenden der Runde schnell als Test verwarfen und stattdessen die bessere Bezeichnung „Gesprächsanlass“ fanden.

Jo Geider: „Wie kommen wir ins Gespräch? Wie kann man den Kontakt so gestalten, dass er ein bisschen tiefer geht, dass man nicht nur an der Oberfläche bleibt? Ich möchte euch etwas an die Hand geben, damit ihr im Coaching-Prozess mehr an die Leute herankommt.“

Der HTP dient in diversen Variationen zur Identifizierung von Persönlichkeitseigenschaften und kann ein Stück der inneren Welt sichtbar machen. Er ist darin aber sehr subjektiv und nicht quantitativ oder standardisiert. Die Interpretation erfolgt am besten gemeinsam mit dem Zeichnenden, der/die letztlich immer die letzte Deutungsautorität hat. Generell ist als Coach stets Rücksprache während jedweder Interpretation zu halten, ob diese einen Anklang beim Coachee findet. Das primäre Ziel ist für die Dozierenden jedoch keine Psychoanalyse mit kunsttherapeutischen Methoden, sondern der fragende Einstieg in ein Gespräch.

Zur weiteren gemeinsamen Übung im pädagogischen Doppeldeckerprinzip durften die angehenden Coaches in einer Mal-Einheit ihren individuellen Entwicklungsweg der letzten zehn Monate bildnerisch darstellen: Individuelle, sozialbezogene und professionelle Aspekte wurden jeweils farblich symbolisiert. Dies wird „Reizmaterial“ zur Reflexion im nächsten Modul sein, um über die eigene Entwicklungsgeschichte zu sprechen.

Dazu die Rückmeldung einer Teilnehmenden:

„Hat Spaß gemacht! Und ja, ‚handeln kann man nur handelnd lernen‘, nicht nur hören, sondern selbst ausprobieren, das ist nochmal anders.“

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Entwicklungswege (Inspiration aus der Kunsttherapie). © Prof. Dr. Monika Zimmermann, Zentrum für interdisziplinäres Coaching

Vorteilhaft für Coaches sind oft praktische Ansätze, die Möglichkeiten des Kontakts eröffnen, ungewöhnliche Situationen schaffen und so helfen, aus dem Alltag(-sdenken) auszubrechen; selbstverständlich immer auf der Grundlage von Vertrauen.

Und weil unsere körperliche Haltung, Mimik und Gestik ein so fundamentaler Ausdruck von Vertrauen in Interaktionen sein können, befassten sich die Teilnehmenden des Weiteren mit Grundlagen der Körpersprache.

Dabei betonte Jo Geider den Aspekt des Lesens im Gegensatz zum Aspekt des bewussten Ausdrucks: Das Lesen der inneren und äußeren Haltung ist ein wichtiger Bestandteil menschlicher Kommunikation und erlerntes Wissen über Körpersprache hilft beim Erkennen und Deuten. Jedoch ist es wenig nützlich, die eigene Körpersprache gezielt kontrollieren zu wollen. Weil Signale oft parallel in Mimik, Gestik und Körperhaltung gesendet werden und wir dafür feinste Antennen haben, sind Unstimmigkeiten überraschend leicht durchschaubar. Unsere Achtsamkeit gegenüber Täuschungsversuchen ist hoch!

Die Anwesenden waren sich auch wieder einmal der Deutungsgrenzen bewusst:

„Sowas wie z.B. verschränkt dasitzen ist ja manchmal auch einfach eine bequeme Haltung. Die Interpretation hat da Grenzen!“

Jo Geider: „genau, da bin ich vorsichtig.“

Dann wurde noch über die unterscheidbaren Elemente der Körpersprache diskutiert. Zählt zur räumlichen Distanz, Mimik, Gestik, Körperhaltung sowie Kleidung und Aussehen eigentlich auch der Körpergeruch? Abgesehen von Parfum ist dieser schließlich manchmal unwillkürlich.

Aber gehört nicht alles dazu, womit ich mir Hypothesen über jemanden bilde?“

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Dozent Jo Geider vermittelt Kenntnisse zur Körperhaltung. © Prof. Dr. Monika Zimmermann, Zentrum für interdisziplinäres Coaching

Körperhaltung hat viel mit dem eigenen Selbstbild, sozialer Stellung in der Gruppe, Selbstbewusstsein und Unsicherheiten zu tun. Ein Tipp für selbstbewusstes Auftreten ist diesbezüglich z.B. ein fester Stand oder eine ruhige Stimme (auch das wird letztlich durch die Körperhaltung beeinflusst). Hier gilt für den ‚Sprecher‘ jedoch wieder, dass bewusstes Täuschen nur begrenzt möglich ist, und andererseits, dass wir nicht isoliert ‚lesen‘ sollen:

Jo Geider: „immer das Gesamtbild beachten, keine isolierten Äußerungen betrachten, immer Situation und Kontext berücksichtigen. … Vorsicht mit gewollten Signalen, wird oft durchschaut, nutzt die Tipps eher zum Lesen, um mögliche Hinweise zu bekommen, wie es dem Gegenüber gehen könnte. Wenn ihr es genau wissen wollt, fragt nach.“

„Mir wäre es jetzt noch nie bei jemandem aufgefallen, aber ich glaub ich merke schon, wenn jemand lügt. Ist dann wohl mehr der Gesamteindruck, ich hab auch nicht das Gefühl, das im Moment zu erfassen.“

„Und ich finde es wichtig, sich zu zwingen, nicht einzelne Signale auf die Goldwaage zu legen.“

Welche Erkenntnisse konnten die Teilnehmenden für ihre eigene Coaching-Praxis gewinnen? Zum einen lässt sich schon das Wissen einbringen, dass ein 45°-Grad-Winkel ein offenes, lockeres Gesprächsklima schafft, anstatt konfrontativ zu sein. Dazu die Gedanken der Teilnehmenden:

„beim Online-Coaching geht das ja schonmal nicht! Das ist frontal.“

„ich nutz den Winkel bei Mitarbeiter-Gesprächen immer, wenn es ein wertschätzender Austausch sein soll.“

Zum anderen gab die Ausbildungsleitung folgenden Tipp zum Umgang mit ‚gelesener‘ Körpersprache:

Monika Zimmermann: „Wenn ich spüre, dass die sich bewegen, kommuniziere ich das oft: ‚Bei mir kommt es so und so an, wie fühlt es sich für Sie an?‘ Ich frag da zwar eher nach, aber finde die Muster schon hilfreich.“

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Die Teilnehmenden und Dozierenden der Coaching-Ausbildung beim Bestaunen ihrer „Kunstwerke“. © Prof. Dr. Monika Zimmermann, Zentrum für interdisziplinäres Coaching

Mit Volkmar Aderhold soziale Interaktionsphänomene reflektieren

Wir alle kennen bestimmte Interaktionen, die in uns negative Gefühle auslösen und bei denen wir uns hinterher fragen, wie wir anders und besser hätten reagieren können. Gerade als Coach haben wir hier einen besonders hohen Anspruch an uns selbst, schließlich „müssen“ wir das doch können. Aber auch Coaches sind nur Menschen!

Aus dem Modul 5 brachten die Teilnehmenden vorbereitend zu diesem Thema Ihre Hausaufgaben mit:

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Hausaufgabe zu Modul 6. © Prof. Dr. Monika Zimmermann, Zentrum für interdisziplinäres Coaching

Dr. med. Volkmar Aderhold war dazu eingeladen, mit den Teilnehmenden schwierige, persönliche Interaktionen zu reflektieren. Insbesondere war es der Ausbildungsleitung ein Anliegen, ein Bewusstsein für vorschnelles „Diagnostizieren“ und von-sich-Wegschieben zu schaffen: Was für eine Bedeutung haben Diagnosen für Personal- und Business-Coaches? Ab welchem Zeitpunkt sagen wir nein und „da braucht es jemand anderen“? Was trauen wir uns zu, wo gehen wir nochmal rein in den Coaching-Prozess, wo geben wir ab? Wir neigen dazu, zu denken, „wenn ich das jetzt wüsste, wenn ich dafür jetzt eine Diagnose hätte, dann könnte ich helfen.“

Unabhängig davon, ob Fälle aus Selbstschutz weitervermittelt werden, ist es gerade bei dem Wunsch nach einer externen psychiatrischen Diagnose angebracht, besonders achtsam zu sein. Es ging Volkmar Aderhold und Monika Zimmermann gerade darum, den Auszubildenden keine Diagnosen vorzulegen. Dies hätte ihnen nur eine bestimmte anti-diskursive Sprache an die Hand gegeben. Das Wording der Pathologien ist nun mal eher entwertend und negativ.

Monika Zimmermann: „mir ist wichtig, dass wir Euch dafür zu sensibilisieren, wie wenig valide und reliabel psychiatrische Diagnosen sind.“

Volkmar Aderhold: „Unterschätzt nicht die kleinen Gesten, das Schweigen. …Nicht die Doktorfrage stellen: ‚Wie geht’s Dir‘, sondern traut eurer Intuition, vertraut eurer natürlichen Fähigkeit. Traut auch dem Moment – die Geste ist extrem wichtig, die ‚Berührung‘, nicht das große Therapiegespräch. … Menschen sind in Empathiefähigkeit hoch begabt. Lasst Euch nicht vernebeln von stigmatisierenden Labels.“

Monika Zimmermann: „Für Resonanz brauchen wir keine Pillen.“

Oftmals werden wir jedoch gar nicht mit dem Problem der psychiatrischen Diagnose konfrontiert. Meistens interagieren wir mit völlig ‚gesunden‘ Menschen, die uns trotzdem den letzten Nerv rauben. Was wünschen sich die Anwesenden für ihre zukünftigen Interaktionen diesbezüglich?

„Es geht mir v.a. um den Selbstbezug: Wie kann ich damit umgehen? Wie kann ich an mir arbeiten, dass es mich nicht so triggert? Gibt es eine gute Strategie, um die Person wieder loszuwerden, ohne das Gesicht zu verlieren?“

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Die Teilnehmenden mit Volkmar Aderhold und Monika Zimmermann in einer persönlichen Gesprächsrunde. © Prof. Dr. Monika Zimmermann, Zentrum für interdisziplinäres Coaching

Als eine Form der sachlichen Verteidigung wurde von den Anwesenden die kommunizierte Ablehnung von respektlosem Verhalten vorgeschlagen. Doch Volkmar Aderhold kennt es aus der therapeutischen Praxis gut, wie schnell man Leute mit einem falschen Wort verliert. Daher schlug er vor, stattdessen vielleicht das eigene Erstaunen zum Ausdruck zu bringen:

Volkmar Aderhold: „… Besser schnell den Ball rüberwerfen, von Dir weg. Nicht angegriffen werden als Person, sonst bist Du ja in der Eskalationsspirale. Keine Zuschreibungen machen im Sinne von ‚den Angriff hatte ich nicht erwartet‘, sondern: ‚hatte nicht mit dieser Wucht gerechnet‘ und ‚würde das jetzt wirklich gerne verstehen, was ist die Geschichte dieser Wut?‘ Würde keine Sprachvorgabe machen, sondern weiter in den historischen Hintergrund des Affekts gehen.“

Monika Zimmermann: „ich empfinde große Resonanz, mit der ‚Geschichte der Wut‘.“

„also Neugierde, Interesse, Verstehen wollen, sich nicht als das Thema sehen?“

VA: „Deine Rolle neu definieren, in eine Moderationsrolle treten und schauen, ob die das akzeptieren, man hat es ja nicht unbedingt in der Hand.“

MZ: „für mich wäre das bereits Souveränität.“

Wir haben also durchaus den Wunsch, in schwierigen Interaktionen à la „Wer hat den Größeren“ auf eine emotional-neutrale Weise standhaft zu bleiben, ohne von uns selbst zu viel preiszugeben.

„in dem Moment, wo mir einer solche Aggressionen entgegenbringt, dann ist ein Teil von mir bereit, es ihm mit gleicher Münze heimzuzahlen. Ich weiß nicht, ob es mir gut tut, wenn ich diesen Teil unterdrücke.“

Wir wollen uns doch zumindest durch Cool-Bleiben wehren. Aber wenn es uns einmal nicht gelingt, weil wir mal wieder kalt erwischt wurden, müssen wir uns dann jedes Mal über unsere eigene Schwäche grämen? Diesbezüglich teilte V. Aderhold eine weise Einsicht:

VA: „Das ist Intersubjektivität: ich zeige mich, du zeigst dich. In diese Ebene komme ich nur, wenn ich mich in gewisser Weise ausliefere. Ich dachte früher, ich kann sehr auf Abstand arbeiten, misstrauisch, um andere auf Distanz zu lassen. Aber der will ich nicht werden, d.h. ich stelle mich darauf ein, immer wieder angegriffen zu werden. So habe ich das Gefühl, ich bin mir treu geblieben. Nicht, ich hab Stand gehalten und hab mich geschützt, sondern, ich bin mir treu geblieben. Treu meinen Werten, verletzbar zu sein. … Aber wenn Du das Gefühl hast, das wird gegen Dich verwendet, dann ist das auch nicht das richtige Paradigma für Dich. So ein toxisches Milieu müsste ich mit meiner Strategie verlasen, sonst würde man sich ja ausliefern.“

MZ: „sich selbst treu zu bleiben, tut manchmal sau weh, aber letztlich stärkt es! Ich komme wieder auf meinen systemischen Lieblingssatz zurück: ‚Wenn du etwas bekämpfen willst, stärke es‘.“

Die folgenden wertvolle Tipps konnten die Teilnehmenden mitnehmen, für den Fall der Überforderung in hitzigen Interaktionen:

„Eine Pause machen kann in solchen Situationen auch helfen. Ich hab den Eindruck, das sind natürliche Systeme, die finden schon ihren Weg. Das ist ein Vorschlag, dass jeder für sich mal wieder runterkommt. … Oder ‚to talk how to talk‘: Miteinander drüber reden, welche Kommunikationsform man wählt. Dann bist Du nicht der, der die Macht ausübt und das steuert.“

Letztendlich würden wir uns gerne auf solche intersozialen ‚Gefahrensituationen‘ vorbereiten, unsere „Rüstung“ anlegen. Da geht es oftmals weniger um den Aspekt des Selbstschutzes, sondern das Gefühl der bestmöglichen Vorbereitung. Aber dies ist aus zwei Gründen schwierig: Erstens sind viele Situationen sehr unvorhersehbar und zweitens lassen sich schwer mal schnell alle Trigger aus der Kindheit identifizieren und ausmerzen. Manchmal haben wir das Gefühl, dazu einen Psychologen oder Coach und etliche Stunden Tiefenanalyse zu brauchen. Aber geht es darum wirklich?

MZ: „vielleicht muss man ja nicht überlegen, was alles diese Trigger sind, sondern zumindest, was einen aktuell beschäftigt. … Wir haben den Anspruch, die ganze Komplexität auf einmal und analytisch komplett verstehen zu wollen. Wenn ich früher dachte: ‚Da brauch ich Zeit, da muss ich Urlaub nehmen, das geht nicht‘, hab ich gar nicht erst angefangen.“

VA: „Aber bei Psychohygiene brauchen wir manchmal den anderen, wenn unsere Sprache versagt. …Man kann sich nochmal vergegenwärtigen, ‚das hab ich damals erlebt‘, also die Selbstexposition. Nicht wegdrücken, sondern sich fragen: ‚was ist heute die innere Wunde, die am verletzlichsten ist?‘.“

Das mit der „Hygiene“ erzeugte bei einer Teilnehmerin Resonanz für den Coaching-Kontext:

Manchmal ist das Fass einfach voll, auch wenn der Piekser ganz klein war. Ich hab die Verantwortung, den Papierkorb auch immer mal wieder zu leeren.“

Im Einklang mit dem Wunsch nach Vorbereitung sprachen die Anwesenden mit Volkmar Aderhold außerdem noch über das schwierige Thema der eigenen Verantwortung bei schwierigen Fällen. Schließlich ist in der professionellen Beratung die Wahrscheinlichkeit nicht gering, mit Schuldgefühlen konfrontiert zu werden und der Anspruch an die eigene Verantwortung hoch. Zwar sind solche Gefühle höchst menschlich, aber vermeiden wollen wir sie trotzdem – oder besser: lernen, damit gesund umzugehen, falls es doch mal dazu kommt. Dazu wurde folgende wertvolle Einsicht geteilt:

VA: „Finde es extrem wichtig, sich dem zustellen, und es sich zu erlauben, die verpassten Situationen zu benennen. …Beim Zurückspulen wird man Dinge erkennen, die man vorher nicht sieht. Denn man hat vielleicht etwas gespürt, aber nicht ernstgenommen. Dann gilt es, daraus zu lernen, es beim nächsten Mal ernstnehmen. Es sollten auch mehrere hinzugezogen werden. Dann kann man sich vergeben. Man muss ja zurück in den Job und wieder in der Lage sein, seiner primären Intuition zu trauen. Das muss man zurückgewinnen! Perfekt sein wird man nie.“

Insgesamt konnte Volkmar Aderhold den Teilnehmenden ein wenig die Sorge nehmen:

„Ich nehme mir mit, den Diagnosen nicht so viel Macht zu geben, dem nicht mehr so viel Bedeutung beizumessen. Es nimmt so ein bisschen die Angst, bei diagnostizierten bzw. medikalisierten Leuten dran zu bleiben.“

Selbst- und Fremdwahrnehmung als Gesprächsanlass ist ein Geschenk

Zum Abschluss lernten die Teilnehmenden durch die Dozierenden Monika Zimmermann und Tobias Jaeger noch die Fragebogen-gestützte Methode der Selbst- und Fremdeinschätzung kennen. Diese ermöglicht wertvolle Momente und dient letzten Endes auch als konstruktiver Gesprächsanlass mit einem Coachee. Geläufig ist die Bezeichnung Potenzial-Analyse, sie hatte aber für alle Anwesenden mehr den Charakter eines „Potenzial-Gesprächs“.

Mit der Methode Potenzial-Gespräch werden verschiedene Persönlichkeitsmerkmale betrachtet und eingeordnet in eine Skala von sehr ausgeprägt bis kaum oder wenig ausgeprägt. Eine Bezeichnung als „Stärken und Schwächen“ sollte jedoch vermieden werden, da ein wenig ausgeprägtes Persönlichkeitsmerkmal nicht automatisch eine Schwäche des Individuums darstellt. Vielmehr darf jede Persönlichkeit und ihre einzigartigen semantischen Bedeutungszuschreibungen und daraus resultierenden Entwicklungsmöglichkeiten (Potenzialen) individuell betrachtet werden. Nur so gelangen wir zu Erkenntnissen, die auch individuelle und bedürfnisorientierte Entwicklungen ermöglichen.

Jede Persönlichkeit hat ihre „Schwächen“/Potenziale/Entwicklungsaufgaben, niemand hat nur stark ausgeprägte Persönlichkeitsmerkmale!

Die Methode des Potenzial-Gespräches stellt eine – im besten Sinne – konstruktiv-kritische Auseinandersetzung mit dem Individuum dar zur Ermöglichung erwünschter, individueller, positiver Veränderungen und Entwicklungen. Für alle Gesprächsteilnehmenden.

Tobias Jaeger: „Ja, es ist eigentlich keine ‚Stärken-Schwächen-Analyse‘. Am Ende geht es um die ganzheitliche Betrachtung des Individuums.“

 „Warum wird immer so ein Eiertanz um das Wort Schwäche gemacht? Ich kann mich doch fragen, wo bin ich verwundbar, wo könnte ich besser sein? …Die Frage ist ja, wie man es kommuniziert, ob man jemanden damit verletzt. Aber mit dem Wort Stärke hat auch keiner ein Problem.“

Monika Zimmermann: „weil Kritik genutzt wird um Leute fertig zu machen, hat Kritik einen schlechten Ruf. Aber das ist nicht in unserem Sinne. … ich möchte weg von dieser Vergleichssch*sse. …Wenn die Leute [in der Arbeit] mit Boni gezwungen werden, konstruktiv zu bewerten, dann ist es klar, dass nur Ja-und-Amen-Antworten dabei rauskommen.“

Monika Zimmermann erinnerte außerdem an die psychodynamische ‚Mahnung‘, seine blinden Flecken und unbewussten Anteile nicht zu verdrängen, sondern ins Bewusstsein zu holen. Dass es dazu keinen Psychologen braucht, sondern dafür bereits eine auf Vertrauen basierende Beziehung ausreicht, wurde mit der Methode nähergebracht. Wichtig ist für das Potentialgesprächs ein wertschätzender Umgang mit den ‚Schwächen‘ des anderen. Dazu ist folgendes hilfreich:

Monika Zimmermann: „Die Rückfrage lautet: ‚an welchen konkreten Indizien, Merkmalen, Beispielen machst du fest, dass ich doch nicht so und so bin?‘ … wie definierst du Zuhören, Spontanität…?‘ …Die meisten würden Kritik als Angriff verstehen.“

 „Finde diese konkreten Beispiele wichtig, man muss die auch immer parat haben. …Aber meist trauen bzw. erlauben wir uns es nicht, unsere Wahrnehmung zu kommunizieren, weil wir nicht darauf vertrauen, dass die Wahrnehmung genau so als Fakt bewertbar ist, wie wenn die Tür offen oder zu ist.“

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Auszug aus der Präsentation „Potenzialgespräch“, © Prof. Dr. Monika Zimmermann, Zentrum für interdisziplinäres Coaching

Als Diskussionsgrundlage sind dann gerade die abweichenden Einschätzungen zur Person interessant. Oft sind Unterschiede auf das individuelle Verständnis der Items zurückzuführen. Oder:

„hast du die Frage anders verstanden oder hast du ihr Verhalten anders interpretiert?“

Zusätzlich können auch Abweichungen bei der Interpretation negativer Werte vorherrschen:

„Eine -3 bei Gewissenhaftigkeit hat für mich ja mit Qualität zu tun, würde das als was schlechtes interpretieren.“

Monika Zimmermann: „jeder Wert, jede Tugend ist ein Kontinuum. Gewissenhaftigkeit oder Selbstdisziplin ist eine Tugend. Aber was wir als gut betrachten, kann bei anderen negativ ankommen.“

„ist ja auch kontextabhängig, z.B. beruflich vs. Privat.“

Was verstehen wir etwa unter Entscheidungsfähigkeit oder Herzlichkeit? Bevor man eine Abwehrhaltung hochkochen lässt, lohnt es sich, das Verständnis des anderen zu erfragen.

Monika Zimmermann: „Beim Fragebogen-Ausfüllen bringen Leute immer ihre eigenen Einschätzungen mit. Immer nachfragen! …Wir neigen dazu, Menschen vorschnell zu beurteilen und verurteilen. …ich möchte, dass die Menschen drüber nachdenken, warum sie wie ein Urteil fällen in Sekunden. Woran wird es festgemacht? Wenn man dann ins Gespräch darüber kommt, wird es einem bewusst, dass man manchmal vorschnell urteilt. Das passiert jedem, aber wir können unserem Bauchgefühl trauen und empirisch vorgehen.“

Was haben die Teilnehmenden zu ihrem Ausbildungswochenende zu sagen?

„fand das ganze Wochenende unglaublich wertvoll, ich nehme so unterschiedliche Dinge mit, fand auch die Abwechslung wunderbar. … Hat einfach Spaß gemacht. Und ich fand die Gespräche sehr tiefgehend und hilfreich.“

„Fand auch die Abwechslung sehr gut. …Finde es schön, dass sich jeder etwas herauspicken kann. Insgesamt sehr gelungen, auch die offenen Gespräche, da waren sehr viele Impulse für mich dabei, wo ich noch viel drüber nachdenken werde.“

„Für mich war es das beste Wochenende.“

„… mir ist nochmal klar geworden, warum ich diese Coaching-Ausbildung mache. Im Kern geht es um: Dasein, Begegnung, Zuhören, Fragenstellen. Das sind so grundlegende Kompetenzen. Da kann man nie genug lernen, sich zu begegnen, zuzuhören, die richtigen Fragen zu stellen.“

„… es ist schön, Menschen zu begegnen, die etwas ändern wollen. … natürlich reflektieren wir ab und zu, doch das reicht nicht. Vor einem Jahr hätte ich vieles überhaupt nicht gesehen, da hätte ich meine Arbeit hinschmeissen müssen. Nach und nach haben sich meine Werte auf die Menschen, mit denen ich arbeite, übertragen. Aber das braucht einfach Zeit.“


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