Wie Sie in unserem vorherigen Beitrag lesen konnten, fand das fünfte Modul der interdisziplinären Coaching-Ausbildung Mitte Januar komplett online statt. Das bot unserer Dozentin Lara Felisa Rubbel, Expertin für Körper- und Bewegungstherapie, genau den richtigen Rahmen, um über die Bedeutung des Raums, ob online oder in Präsenz, für das Coaching zu sprechen.
Unsere Dozentin zeigte auf, dass man sich während eines solchen Online-Lehrgangs in einem besonderen räumlichen Dispositiv befindet:
„Wir waren jetzt gerade schon in ganz unterschiedlichen Räumen. Einerseits in dem Raum, in dem wir physisch sitzen. Dann im Online-Raum und da teilweise auch in unterschiedlichen Räumen [Zoom, Gruppenräume auf Teams, Riseup Pad].“
Aber auch abseits dieser virtuellen Räume, bewegen wir uns als Menschen ständig in unterschiedlichen Räumen gleichzeitig: Neben dem Raum um uns herum, gibt es etwa auch unseren Körperinnenraum sowie unseren Körperaußenraum. Letzteren beschreibt die Lara Rubbel folgendermaßen:
„Das merkt man zum Beispiel, wenn eine Person einfach zu nahekommt und man merkt, „Das ist mir jetzt ein bisschen zu nah, ich geh lieber einen Schritt zurück.“ Da ist jemand in den eigenen Körperraum gegangen.“
Gestalten eines förderlichen (Online-) Raums für Coaching
Diese Doppelung oder eher Vervielfachung der Räume muss beim Coaching immer mitgedacht und vom Coach aktiv gestaltet werden, um dem Coaching-Prozess zuträglich zu sein. Wichtige Stichpunkte dabei sind Gastlichkeit, d.h. einen Raum so zu gestalten, dass sich der oder die Klient*in wohlfühlt und gut versorgt ist. Hierzu spielen unter anderem Wärme- und Lichtverhältnisse eine Rolle, aber auch einfach das Anbieten von Getränken und verweisen auf die Toilette. Ebenso müssen das Thema Sicherheit und Geschlossenheit des Raums vom Coach bedacht und dem Coachee vermittelt werden. Er oder sie sollte sich im Raum sicher fühlen, um sich so öffnen zu können, und sich gewiss sein, dass es sich um einen geschlossenen Raum handelt, aus dem nichts nach außen dringt.
Bei den Teilnehmenden rief diese Impulse ein neues Bewusstsein, eine intensivere Wahrnehmung der Räume, in denen sie sich in diesem Moment physisch und virtuell aufhielten, hervor. Einige berichteten von den Maßnahmen, die sie selbst ergriffen hatten, um es sich gemütlich zu machen:
„Ich habe schon meinen ersten Ortswechsel vorgenommen, von Esszimmer zu Wohnzimmer, habe es mir gemütlich gemacht und auch ein bisschen eingemummelt.“
Andere nahmen nun bewusst Störfaktoren auf, die zu einem bestimmten Unwohlsein beitrugen:
„Ich stelle fest, dass das keine gute Sache war, das Ausräumen zu beginnen und in einem unordentlichen Raum zu sitzen. Irgendwie missfällt mir das. Auf dem Tisch gucken mich so 600 Bücher zum Aussortieren an und die stören mich.“
Während die oben genannten Grundvoraussetzungen für jedes Setting, ob online oder in Präsenz, gelten, räumt die Dozentin auch ein, dass sich ihre Umsetzung in beiden Instanzen unterscheidet. So arbeitet der Coach online mehr mit Anleitung und Aufforderung an den Klienten, bittet ihn oder sie etwa es sich gemütlich zu machen und sich mit Getränken zu versorgen, anstelle von direkter Intervention. Daraus folgt auch, dass der Coach im Online-Setting weniger Kontrolle über die Rahmenbedingungen und den Raum hat. Nicht nur kann es zu technischen Problemen kommen, auch andere Störfaktoren im physischen Raum des Klienten, wie etwa Lärm oder etwaige Ablenkungen, können nicht vollständig verhindert werden:
„Im besten Fall ist auch der Online-Raum ein sicherer Raum ist. Ich sage dazu im besten Fall, weil das online natürlich schwer machbar ist, denn so richtig kann ich das nicht kontrollieren. Ich kann das ansprechen, aber ich kann das nicht garantieren. Das ist einfach noch mal ein ganz großer Unterschied zu Präsenz, dass ich teilweise einfach nicht weiß, was mit den Coachees passiert.“
Als Worst-Case-Szenario in diesem Kontext antizipiert Lara Rubbel die Möglichkeit, dass Klienten in einer Online-Sitzung den Raum einfach verlassen, etwa während eines Gefühlsausbruchs. In einer solchen Situation sind die Möglichkeiten des Coaches, mit dem Klienten in Kontakt zu treten und ihn wieder aufzufangen, limitiert. Eine Teilnehmende formuliert es so:
„Das ist auch ein Punkt, der das Online Thema schwieriger macht: Das Intervenieren, wenn jemand vielleicht gerade eine Unterstützung in irgendeiner Form braucht und die nicht bekommen kann, weil er es nicht zulässt und du aufgrund der Distanz nicht dazwischen gehen kannst.“
Sowohl Lara Rubbel als auch Prof. Dr. Monika Zimmermann bekräftigen, dass es hier in der Verantwortung des Coachees liegt, die Hilfe des Coachs anzunehmen. Sie betonen, dass diese Situation auch unwahrscheinlich ist, vor allem wenn der Coach zuvor dafür Sorge getragen hat einen sicheren Raum zu schaffen, um die Person auch in solch schwierigen Situationen zu begleiten.
Der Raum in systemischer Perspektive und die Idee des „Verraumens“
Im Anschluss an diese Diskussion präsentiert Lara Rubbel einige theoretische Grundlagen zur Bedeutung des Raums aus der systemischen Perspektive sowie dem Embodiment-Ansatz. In der Systemik, die sich eben darüber definiert, die verschiedenen Systeme zu betrachtet, in denen eine Person verortet ist, hat nicht nur das soziale Umfeld große Bedeutung, sondern auch der tatsächliche Raum, in dem sich die Person befindet. Die Dozentin zitiert dazu das Forscherehepaar Baer und Baer-Frick:
„Unser Leben ist immer räumlich,“ und ergänzt, „Wie das Erleben immer körperlich ist, gibt es auch immer einen räumlichen Aspekt, der meistens sehr natürlich auch unbewusst dabei ist.“
Im systemischen Ansatz wird dieser Aspekt nicht nur mitgedacht, er wird in Form verschiedener Methoden auch aktiv genutzt. Beim sogenannten „Verraumen“ werden Themen bzw. die Anliegen der Klienten räumlich dargestellt und damit körperlich erfahrbar gemacht werden. So kann zum Beispiel der häufige Coaching-Anlass der Entscheidungsfindung verraumt werden, indem den Entscheidungsalternativen jeweils ein bestimmter Raum zugeordnet wird. Wichtig hierbei ist, dass der oder die Klient*in dieses verraumen selbst vornimmt. So kann er oder sie nun in diesen Raum der Entscheidung treten und spüren, wie sich der Körper dort anfühlt. Bei Anliegen, die Gruppen oder Teams betreffen, können die verschiedenen Mitglieder dieses Systems sich im Raum aufstellen und so ihre Positionen zueinander räumlich darstellen und spüren.
Lara Rubbel betont, dass solche Methoden auch online gut durchführbar sind. Durch intensive Anleitung und Nachfragen hilft sie ihren Klienten ins Imaginieren und Spüren zu kommen. So kann das Verraumen auch im virtuellen Raum ein wirksames Tool sein.
Im Embodiment-Ansatz, welchen die Teilnehmenden schon im ersten Modul der Ausbildung kennengelernt haben, spielt der Raum ebenso eine wichtige Rolle und muss ständig mitbedacht werden:
„Im Embodiment geht es darum, dass Körper und Geist aufeinander bezogen sind und eigentlich immer in einem Kreislauf sind: der Körper beeinflusst den Geist und der Geist beeinflusst den Körper. In diesem Konzept geht es aber genauso auch um die Umwelt. Eigentlich ist es ein Modell, wo Körper und Geist in einem Kreislauf sind und darum eingebettet in die Umwelt sind. Ihr könnt ihr euch die Umwelt noch mal wie in so einem Kreis drum herum vorstellen. Einer der Hauptbegriffe dafür ist zirkuläre Kausalität. Das heißt eben, dass es eine wechselseitige Bedingung zwischen Körper, Geist und Umwelt gibt.“
Anhand einiger von der Dozentin angeleiteten Übungen an verschiedenen Stellen des zweistündigen Vortrags spüren die angehenden Coaches diese Wechselbeziehung am eigenen Leib. Sie erleben, wie körperorientierte und erfahrungszentrierte Übungen Erlebnisräume schaffen und rein kognitive Zugänge ergänzen können.
Auch hier steht der virtuelle Raum der Übung in keinster Weise im Weg. Im Gegenteil, wenn der Coach diesen Raum und seine Möglichkeiten mitdenken, kann er sogar unerwartete Vorteil gegenüber dem Präsenz-Setting bieten. So entscheiden sich einige Teilnehmenden während der Übungen ihre Kamera auszuschalten und merken, dass sie so nicht ständig unbewusst daran denken, wie sie von anderen wahrgenommen werden:
„Was mir geholfen hat, ist, dass die Kamera aus war. Ich musste mir keine Gedanken darüber machen, wie man mein Gesicht deutet. Es war interessant, mehr transparent zu machen, wie häufig ich mir Gedanken drüber mache, wie mich die anderen wahrnehmen. Das heißt also, Kamera aus hat mir geholfen.“
Übung: Wie sitze ich gerade?
Im Folgenden können Sie eine dieser Übungen selbst ausprobieren. Am wirkungsvollsten ist es, wenn Sie sich dabei von unserer Dozentin anleiten lassen. Die Audiodatei dafür finden Sie hier.
Konzentriere dich auf deinen Atem und atme erst mal tief ein und aus. Nochmal ein. Und aus. Spüre dabei, wie die Luft durch dich durchströmt. Jetzt schau mal: Wie sitzt du gerade vor dem Computer? Welche Haltung hast du eingenommen? Wie sind deine Schultern? Wie fühlt sich dein Nacken an? Gibt es irgendwas, wo du eine Spannung merkst? Dann kannst du dich vielleicht ein bisschen bewegen, deine Schultern kreisen. Oder manchmal kann es auch helfen, wenn irgendein Körperteil angespannt ist, das nochmal mehr anzuspannen. Zum Beispiel die Schultern hochziehen und dann nochmal sacken lassen. Schaue einfach mal. Du kannst auch die Augen zu machen und noch mal gucken: „Ist irgendwas in meinem Körper, was ich gerade nicht so gut anfühlt?“ Und da noch mal besonders den Atem hinschicken. Schau mal, wie deine Haltung gerade vor dem Computer ist. Gibt es vielleicht irgendwas, was du noch verändern kannst, damit es für dich noch bequemer ist? Gibt es eine kleine Korrektur, die du anstellen kannst? Und wenn du das gemacht hast, dann nimm noch mal einen tiefen Atem. Du kannst die Augen wieder aufmachen, falls du die Augen geschlossen hast. |
Feedback: Entschleunigung und Körperbewusstsein
Am Ende des Vortrags äußerten sich die Teilnehmenden wertschätzend gegenüber Lara Rubbels spannenden Input und den neuen Impulsen, die sie ihnen für ihre Coaching-Praxis mitgeben konnte. Auch für die Stärkung des eigenen Körperbewusstsein und die Entschleunigung während dieser zwei Stunden bedanken sich sie sich:
„Vor allem fand ich es wirklich gut, noch mal den Raum im Blick zu haben, auch beim Coaching. Ich glaube, der Raum arbeitet einfach auch mit. Das nehme ich definitiv mit.“
„Ich finde, du machst das immer sehr, sehr gut, dass man wirklich so entschleunigt. Ich merke dann einfach, ich komme relativ schnell runter.“
„Das Thema Raum hat mir noch mal so einen richtigen Denkanstoß gegeben. Das habe ich bisher als gegeben mitgenommen und jetzt ist es was, zu dessen Gestaltung ich aktiv beitragen sollte. Und nicht nur im physischen Raum, sondern auch in dem, was wir als Umwelt oder Umgebung wahrgenommen hatten.“
„Ich werde es sicherlich für mich als Methode mal entdecken, weil ich es auch gut finde, dass man den Körper da mitreingeholt hat. Ich habe dann zum Schluss auch den Körper mehr gefühlt als sonst um diese Zeit und ich gehe einfach etwas gelockert in die Pause.“
Im Februar kommen die angehenden Coaches und Lara Rubbel für eine Supervision wieder im virtuellen Raum zusammen. Wir sind gespannt zu hören, welche Impulse sie bis dahin schon umsetzten konnten.
Wirklich interdisziplinär: Dieser Beitrag von der Innenarchitektin Anne Lambert zum Thema Wirkfaktor Raum, ergänzt Frau Rubbels systemische und körperorientierte Ausführungen zur Bedeutung des Raums im Coaching:
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Ich freue mich auf Sie und unseren Austausch!
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